Dienstag, 29. September 2009

Strafe für Kriegsverbrechen in Gaza

Rauch über Gaza-Stadt nach einem israelischen Bombardement  (Foto: AP)

Der "Goldstone-Bericht" zum Gazakrieg beschäftigt den UN-Menschenrechtsrat. Darin wird eine bisher fehlende Strafverfolgung für begangene Kriegsverbrechen in Gaza angeprangert. Israel wehrt sich gegen den Bericht.

Richard Goldstone, Chef einer eingesetzten UN-Untersuchungskommission, hat eine Bestrafung von Israelis und Palästinensern für im Gaza-Konflikt verübte Kriegsverbrechen gefordert. Die Täter auf beiden Seiten dürften nicht straffrei ausgehen, sagte er am Dienstag (29.09.2009) vor dem UN-Menschenrechtsrat in Genf. Ansonsten werde jede Hoffnung auf einen erfolgreichen Friedensprozess untergraben, so der südafrikanische Richter weiter. Goldstone legte dem Rat den Bericht seiner Untersuchungskommission vor, den er im Auftrag der UN über den Krieg angefertigt hatte.

Die bereits Mitte September veröffentlichten Untersuchungsergebnisse der nach ihm benannten Goldstone-Kommission ist unter den zahlreichen Untersuchungsberichten, die inzwischen zum Gazakrieg vorgelegt wurden, mit fast 600 Seiten nicht nur der bei weitem umfangsreichste. Unter Beobachtern gilt der Bericht auch als ausgewogen. Denn die Kommission erfüllte den Auftrag des UNO-Menschenrechtsrats, unterschiedslos "sämtliche Menschenrechtsverletzungen und Völkerrechtsverstöße zu untersuchen, die im Kontext der militärischen Operationen in Gaza zwischen dem 27. Dezember 2008 und 18. Januar 2009 begangen wurden, vor, während und nach diesem Zeitraum" - von welcher Seite auch immer.

Judge Richard Goldstone, from South Africa, Head of the UN Fact Finding Mission on the Gaza Conflict, speaks during a press conference about the Human Rights Council fact-finding mission on Gaza conflict at the United Nations building in Geneva, Switzerland, Tuesday, July 7, 2009. The hearings in Geneva follow a first set of hearings in the Gaza Strip late last month that were dominated by testimony of Palestinians caught under Israeli shelling during the 22-day offensive. (AP Photo/Keystone/Martial Trezzini)

Verbrechen gegen die Menschheit

Mit Blick auf Israel ist das Untersuchungsergebnis eindeutig. Die Kommission kam zu dem Ergebnis, daß Israel im Zuge seiner militärischen Operationen schwerwiegende Verstöße gegen das internationale Recht begangen hat. Nach Feststellung der Kommission haben israelischen Streitkräfte Kriegsverbrechen begangen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschheit.

Der UNO-Bericht bestätigt damit die Darstellungen israelischer und internationaler Menschenrechtsorganisationen wie B`Tselem, Amnesty International, Human Rights Watch und Medico International ebenso wie die Aufsehen erregenden Zeugenaussagen beteiligter israelischer Soldaten, die im April von der Tel Aviver Zeitung "Ha'aretz" veröffentlicht wurden. Und der Bericht widerlegt die Untersuchung, mit der die israelische Regierung die eigenen Streitkräfte von jeglicher Kritik freigesprochen hat.

Über Gaza explodiert eine Rakete (Foto: dpa)

Deutliche Bewertung der Hamas-Verstöße

Zu einem klaren Ergebnis gelangt die Goldstone-Kommission auch mit Blick auf die Hamas. Deren Verstöße und Verbrechen nehmen im Bericht zwar einen kleineren Raum ein, weil sie weit weniger Opfer forderten und Zerstörung anrichteten, als jene der israelischen Streitkräfte. Doch die Bewertung insbesondere der Raketenangriffe der Hamas gegen israelische Dörfer und Städte ist ebenso deutlich.

Es gibt nach Überzeugung der Kommission keinen Zweifel, dass die Hamas ihre Raketen und Granaten mit der Absicht abschoss, Zivilisten zu töten und zu verletzen sowie zivile Einrichtungen zu zerstören. Auch dies sind schwere Kriegsverbrechen und möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Israel verweigert Zusammenarbeit

Die Dokumentation der Hamas-Raketenabschüsse und der dadurch verursachten Schäden wäre in dem UNO-Bericht möglicherweise umfangreicher ausgefallen, wenn die israelische Regierung nicht jegliche Kooperation mit der Goldstone-Kommission verweigert sowie Untersuchungen an Einschlagzielen von Hamas-Raketen verhindert hätte. Stattdessen musste die Kommission die Bürgermeister von Ashkelon und anderen betroffenen Städten zu aufwendigen und kostspieligen Anhörungen nach Genf ausfliegen.

Strafrechtliche Verfolgung der Täter gefordert

Lichterkette und protestierende Gruppe von Palästinensern  (Foto: AP)

Die israelische Regierung hatte sowohl den Goldstone-Bericht als auch den Auftrag der UN daür pauschal als einseitig zurückgewiesen. Israelische Menschenrechtsorganisationen haben den Bericht hingegen einhellig begrüßt. Sie appellierten an die eigene Regierung und die israelischen Justizbehörden, gemäß der Aufforderung der Goldstone-Kommission innerhalb von sechs Monaten eine strafrechtliche Untersuchung gegen die Täter und Befehlsgeber einzuleiten. Dieselbe Aufforderung richtete die Kommission auch an die Hamas. Wenn Israel und Hamas dieser Aufforderung nicht folgen, müsse UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon den Bericht an den UNO-Sicherheitsrat weiterleiten, empfiehlt die Kommission. Der Sicherheitsrat solle dann den Internationalen Strafgerichtshof einschalten.

Auf die Frage, ob er der Empfehlung der Goldstone-Kommission folgen wird, die der Menschenrechtsrat in Genf auf seiner Sitzung voraussichtlich unterstützen wird, vermeidet UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon bislang eine Antwort.

Israel will Anrufung des Sicherheitsrates verhindern

Die israelische Regierung hat inzwischen eine intensive politische Kampagne gestartet, um die Weiterleitung des Goldstone-Berichts an den Sicherheitsrat zu verhindern. Die US-Regierung signalisierte Tel Aviv für dieses Ziel bereits öffentlich Unterstützung.

Autor: Andreas Zumach

Redaktion: Stephanie Gebert

Saudi-Arabien: Mann muss wegen Plauderei über Sex vor Gericht

Freimütig sprach er über sein Liebesleben, nun muss er die Konsequenzen tragen: Masen Abdul Jawad berichtete in einem Interview mit einem arabischen Fernsehsender, was sich in seinem Schlafzimmer abspielt. Nun drohen ihm bis zu 20 Jahre Haft und 1000 Peitschenhiebe.

Riad - Im islamischen Königreich Saudi-Arabien hat zum ersten Mal ein Mann gewagt, öffentlich über sein Sexualleben zu plaudern. Gut bekommen ist es ihm nicht: Wie die Zeitung "Arab News" am Montag berichtete, steht Masen Abdul Jawad, 32, seit Sonntag in der Hafenstadt Dschidda vor Gericht. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft und mehr als 1000 Peitschenhiebe.

Der geschiedene Vater von vier Kindern hatte im vergangenen Juli in einer TV-Sendung des arabischen Senders LBC erzählt, wie er in seinem rot dekorierten Schlafzimmer Frauen verführt. Außerdem hatte er berichtet, er habe im Alter von 14 Jahren zum ersten Mal Sex gehabt, mit einer Nachbarin.

Drei von Abdul Jawads Freunden, die auch in dem Film zu sehen sind, wurden den Angaben zufolge ebenfalls angeklagt. Der Prozess findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.

In Saudi-Arabien achtet die Religionspolizei darauf, dass Männer und Frauen, die nicht miteinander verheiratet sind, keinerlei Kontakt miteinander haben. Außerehelicher Geschlechtsverkehr ist streng verboten. Frauen müssen in der Öffentlichkeit bodenlange schwarze Gewänder und Kopftücher tragen.




Finanzindustrie hat gut investiert

Versicherungsvertreter im Bundestag

Markus Kompa 29.09.2009

Zum kürzlich erschienenen Beitrag über die [local] Verstrickung der CDU mit dem umstrittenen Finanzstrukturvertrieb Deutsche Vermögensberatung AG (DVAG) gibt es einiges nachzutragen: Die DVAG und ihre Schwesterfirma "Allfinanz Deutsche Vermögensberatung" haben die FDP dieses Jahr sogar mit 150.000,- Euro bzw. 100.000,- Euro [extern] bedacht. Neben [extern] Vortragskünstlerin Angela Merkel glänzt die DVAG auch mit einem nun einflussreichen Politiker auf einer handfesten Unternehmensposition: Den Beirat der DVAG ziert niemand geringeres als Vizekanzler in spe Dr. Guido Westerwelle.

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Unverblümt [extern] gratulierte das DVAG-Unternehmensblog DVAG-Freundin Merkel und DVAG-Beirat Westerwelle zum Wahlerfolg. Was dürfen wir wohl von einer Regierung erwarten, die den Arbeitsgesetzen und Sozialsystemen dermaßen Hohn spricht, in dem sie sich für einen Strukturvertrieb einspannen lässt? Dessen Handelsvertreter zum Teil am Existenzminimum laborieren und trotz ihrer Arbeitnehmerähnlichkeit nur unzureichende Rechte gegen das Vertriebsunternehmen haben? Dessen Finanzberatung sogar in einer [extern] Studie des [extern] unionsgeführte Verbraucherschutzministeriums nur mit Mühe [extern] ohne Kraftausdrücke beschrieben werden konnte?


Ich bin so frei ...

Ein Blick auf die Nebentätigkeiten der Spitzenpolitiker des designierten Koalitionspartners - basierend auf den [extern] Angaben des noch amtierenden 16. Bundestags - lässt zahlreiche Interessenkollisionen mit der Finanzwirtschaft erahnen:

[extern] Guido Westerwelle übt neben seinem Pöstchen bei der DVAG auch bei der Rechtsschutzversicherung ARAG eine Funktion aus, sowie beim Versicherer Hamburg Mannheimer - dessen Strukturvertriebsgesellschaft Hamburg Mannheimer International (HMI) einen [extern] ähnlichen Ruf genießt wie die DVAG.

[extern] Daniel Bahr, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP, jobbt für die Versicherungsgruppe ERGO, zu der Hamburg-Mannheimer, Victoria Leben, DKV, Victoria Kranken, KarstadtQuelle Versicherungen, Hamburg-Mannheimer Rechtsschutz u.a. gehören. Wertvolle Anregungen für sein Metier kann Bahr sicherlich auch vom [extern] Dachverband der Unterstützungskassen für deutsche Krankenhäuser e.V. erhalten, mit dem er sich Gedanken um die betriebliche Altersvorsorge macht.

Dass gestandene Politiker, die bereits öffentliche Ämter bekleidet hatten, etwa [extern] Rainer Brüderle oder [extern] Wolfgang Gerhard ihre Pöstchen in der Finanzwirtschaft gefunden haben, versteht sich von selbst.

Im neuen Bundestag nicht mehr vertreten ist [extern] Konrad Schily, der nunmehr ausgiebig Zeit für seine umfangreichen Nebentätigkeiten hat, u.a. für die AXA Krankenversicherung AG. Dem politischen Geschäft erhalten blieb jedoch [extern] Patrick Döring, der unter anderem Haustiere versichert. [extern] Cornelia Pieper scheint als Übersetzerin die richtige Qualifikation zu bieten, die Nürnberger Versicherung AG beaufsichtigen zu dürfen. Über die Newcomer im gerade neugewählten Bundestag standen bislang noch keine Informationen über offenlegungspflichtige Tätigkeiten zur Verfügung.

Die größte Einzelspende an die FDP leistete sich mit 200.000,- Euro die [extern] Deutsche Bank, deren Finanzprodukte u.a. ebenfalls von der DVAG vertrieben werden. Während die Industrie zu Zeiten des Dreiparteiensystems Union/SPD/FDP die Tradition pflegte, bei der [extern] "politischen Landschaftspflege" alle drei Parteien mit Spenden bei Laune zu halten, gehörte die Liebe der Finanzwirtschaft diesmal offenbar vornehmlich Schwarz-Gelb.


CSU-Ministerin Ilse Aigner ist nicht zu beneiden

Obwohl Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) für die Finanzwirtschaft [extern] härtere Auflagen zur Sicherung der Beratungsqualität fordert, besitzt DVAG-Unternehmensblogger und -Vorstand Helge Lach den Humor, in seiner Gratulation auch gleich die beiden DVAG-Kostgänger Merkel und Westerwelle anzumahnen:

(...) Und das zum Teil inzwischen nicht mehr erträgliche Ausmaß bürokratischer Regelungen, gerade auch in unserem Berufsstand, muss abgebaut werden. Dazu gehört auch, den Vermögensberater-Beruf nicht durch gesetzliche Regelungen zu diskreditieren, sondern ihn als gesamtwirtschaftlich dringend notwendig so gut wie möglich zu fördern. (...)

Dabei hatte man gerade erst (unter vehementem Druck der EU) angefangen, den bislang völlig unregulierten Markt der Finanzvermittlung wenigstens ansatzweise[extern] von den größten Missständen zu befreien. Man darf gespannt sein, ob sich Ilse Aigner den Begehrlichkeiten der Finanzindustrie wird entziehen können. Vielleicht stellt ja die FDP den nächsten Verbraucherschutzminister sogar gleich selbst. Oder man entscheidet sich für das Modell "zu Guttenberg" und lässt die Gesetze außer Haus direkt von der Finanzwirtschaft machen. Kurz sind die Wege ja ohnehin.

Montag, 28. September 2009

Der Fluch der Volksparteien

ZDF-Chefredakteur vor dem Aus

Nach dem Willen der Union hat ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender seine letzte "Berliner Runde" moderiert. Dementsprechend war auch das Diskussionsklima.
VON STEFFEN GRIMBERG

ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender hat nach der Wahl schlechte Karten, im Amt bleiben zu können.

"Den großen Elefanten geht allmählich die Nahrung aus, und die kleinen Elefanten wachsen schneller, als die großen es mögen", wurde ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender am Ende der traditionellen Politikerrunde nach der Bundestagswahl noch ein bisschen lyrisch. Denn noch nie "in der Geschichte der Bundesrepublik" hätten gleich drei kleinere Parteien jeweils "über zehn Prozent Marktanteil" geholt, vergaloppierte sich der ZDF-Chefredakteur.

Eigentlich hätte Guido Westerwelle mit der Wahlabendbilanz vom Ende der Volksparteien zufrieden sein können, doch der FDP-Chef präsentierte sich in der "Berliner Runde" reichlich dünnhäutig. Er wahlkämpfte weiter und zickte noch ein bisschen rum, dass er nicht zum TV-Duell geladen war. Macht nichts, politisch war alles sowieso nur lästige Pflichtübung: Sie müsse "noch ein bisschen Medienarbeit machen", verabschiedete sich Angela Merkel am frühen Abend von ihren Anhängern.

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Beim ZDF erschienen zur Strafe später bei Wahlfrontfrau Bettina Schausten noch Helmut Markwort (FDP) sowie Giovanni di Lorenzo (Zeit) und haderten mit dem Ende der Volkspartei SPD (GdL) bzw. der deutschen Sprache (Markwort). Selbst das ARD-"Morgenmagazin" bot Montag früh einen anstrengend ausgeschlafenen Friedrich Nowottny auf, der der SPD empfahl, "herauszufinden, welche Partei sie sein will".

Zum Trost können sich beide Nicht-mehr-so-ganz-Volksparteien jetzt auf einen Beritt stürzen, in dem auch diese Wahl kaum etwas an ihrem beherrschenden Einfluss ändern wird: auf die öffentlich-rechtlichen Sender, deren Gremien auch weiterhin brav nach schwarzen und roten Freundeskreisen sortiert bleiben. Die erste Aufgabe steht unmittelbar bevor: Beim ZDF soll nach dem Willen von Merkel und der Union Chefredakteur Nikolaus Brender keine weitere Amtszeit kriegen, "Berliner Runden" moderieren oder Wahlergebnisse mit Einschaltquoten verwechseln dürfen.

Seiner vom ZDF-Intendanten Markus Schächter gewünschten Vertragsverlängerung - der aktuelle läuft noch bis April 2010 - muss der ZDF-Verwaltungsrat zustimmen, in dem zum Glück Roland Koch (CDU) und Edmund Stoiber (CSU) sitzen. Auch die SPD hat signalisiert, dass sie beim Brender-Sturz nicht direkt mitmachen, aber die Füße still halten will.

Merkel selbst hatte zuletzt Brenders Vorschlag, mal wieder vor der Wahl eine ZDF-"Elefantenrunde" zu veranstalten, die kalte Schulter gezeigt - und sich schon Wochen zuvor die Bemerkung eingefangen, man sei "doch nicht bei Hofe": Das ZDF würde nicht alles mitmachen, was die Kanzlerin wolle. 2005 hatte Brender am Wahlabend dem ihr unterlegenen Gerhard Schröder Paroli geboten.

"Frau Bundeskanzlerin, Sie sind hier ordentlich behandelt worden", meinte Brender zum Schluss der "Berliner Runde", "und Sie wären vorher ebenso gut behandelt worden". Und was sagte Merkel? "Oooch", sagte sie.

Ist damit Brender weg vom Fenster? Denn die kleinen Parteien sind zwar Gewinner der Wahl, doch nützen werden sie ihm wenig: FDP, Linke und Grüne wollen nicht etwa nach Karlsruhe ziehen, obwohl auch namhafte Juristen die Art und Weise, wie beim ZDF die Gremien besetzt werden, als verfassungswidrig ansehen. Sie ordnen sich bislang lieber devot den SPD- bzw. CDU-nahen Freundeskreisen unter.

Von Liebe und Hass

Abschiebung weil Partner tot ist

Nachdem sein Lebensgefährte in Tel Aviv ermordet wurde, soll ein Deutscher nun Israel verlassen. VON SUSANNE KNAUL

Trauernde Menschen auf dem Begräbnis von Nir Katz.

Als Nir Katz vor knapp zwei Monaten von einem vermutlich religiösen Fanatiker mit mehreren Schüssen getötet wurde, war es nicht nur ein Schock für die israelische Schwulen- und Lesbenszene, sondern vor allem für Thomas Schmidt, Nirs Lebensgefährte. Vor vier Jahren hatten sich die beiden Männer kennen gelernt, als Thomas in Israel seinen Urlaub verbrachte. Obschon der junge Deutsche kein Jude ist, möchte er auch nach Nirs Tod in Israel bleiben, doch die Behörden könnten ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Die Beziehung des Anfang 20-Jährigen zu Nir machte ihm den dauerhaften Aufenthalt in Israel möglich. Nun, da die Partnerschaft zu Ende ist, droht ihm der Landesverweis.

Drei Monate gilt das normale Touristenvisum. Wer länger bleiben will, braucht eine Sondergenehmigung. Möglich ist eine berufliche Anstellung oder eben eine feste Partnerschaft auch ohne Trauschein. Nir und Thomas wohnten zusammen in einem Vorort von Tel Aviv. Thomas war als Sozialarbeiter tätig. Der um ein paar Jahre ältere Nir betreute homosexuelle Jugendliche. Seine Gruppe hatte sich gerade im Keller des Schwulen- und Lesbenzentrums zusammengesetzt, als der ganz in Schwarz gekleidete Attentäter das Feuer auf sie eröffnete. Außer Nir starb ein 16-jähriges Mädchen. Vom Täter fehlt bis heute jede Spur.

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"Sein Partner konnte nicht aufhören zu weinen", berichtete die auflagenstärkste Tageszeitung Jediot Ahronot von der Beerdigung Nirs. Thomas hält sich fern von den Medien und lehnt es ab, Interviews zu geben. Vor wenigen Tagen kam er dennoch mit einer neuen Meldung in die Schlagzeilen. Sein Routinegang zum Einwohnermeldeamt, wo er regelmäßig eine Verlängerung für seine Aufenthaltsgenehmigung beantragt, endete mit einem weiteren Schlag für ihn. Die Behörde lehnte seinen Antrag ab und forderten ihn auf, Israel innerhalb von zwei Wochen zu verlassen.

Thomas will bleiben

Ila Katz, die Mutter des ermordeten Nir, stellte sich sofort hinter ihren deutschen "Schwiegersohn". Sie selbst hatte ihren Mann bei einem Unfall in der Armee verloren, als Nir sechs Jahre alt war. Thomas enges Verhältnis zur Familie Nirs ist mit ein Grund für seinen Wunsch, in Israel zu bleiben. "Wir sind uns darüber bewusst, dass wir vor einem langen Weg voller bürokratischer Hindernisse stehen", sagte die Mutter der Zeitung Jediot Ahronot voller Entschlossenheit, nicht aufzugeben.

Immerhin hat sie eine erste Verlängerung von drei weiteren Monaten Aufenthalt für Thomas bewirken können und eine erneute Überprüfung im Innenministerium. Die aktuelle Stimmung im Land könnte dem jungen Deutschen zugute kommen. Politiker fast aller Fraktionen hatten sich nach dem Gewaltakt in Tel Aviv mit den Homosexuellen solidarisiert.

Angie und Guido tun es

Guido und Angie werden bald zusammenarbeiten - Quelle: YouTube
Die Parteienlandschaft hat sich verändert. Schwarz-Gelb wird kommen, SPD, Grüne und Linke drücken die Oppositionsbänke. Stillstand bei der Homopolitik?

Von Christian Scheuß

In den vergangenen Tagen wurde es immer wieder in der Szene kolportiert: Kommt Schwarz-Gelb, wird es mit Guido Westerwelle erstmals einen offen schwulen Außenminister geben. Der FDP-Chef wird mit Sicherheit am Wahlabend jede Frage nach künftigen Ministerposten abbügeln, doch von der neuen Besetzung des Bundestags her gesehen könnte diese Vision wahr werden.

Auch wenn die Union mit CSU und FDP die Regierung stellen wird, die Partei hat Verluste hinnehmen müssen, mit 33,8 Prozent liegen sie 1,4 Prozent niedriger als 2005. Die SPD (23,0 %) hat 11,2 Prozent verloren, ihr bislang schlechtestes Ergebnis. Allzeithochs haben die kleinen Parteien verbuchen können: FDP 14,6 %, Linke 11,9 %, Grüne 10,7 %. Die Piratenpartei kam immerhin auf 2,0 Prozent.

Die Ziele in Sachen Homopolitik haben die Freidemokraten klar definiert: Die FDP will beispielsweise Eingetragene Partnerschaften und die Ehe gleichstellen, das Adoptionsrecht für Schwule und Lesben öffnen, Lesben die künstliche Befruchtung erlauben und homophoben Staaten die Entwicklungshilfe streichen. Auch als Außenminister hätte Guido Westerwelle also in diesem Themenfeld genug zu tun. Doch mit Angela Merkel hat er eine Vertreterin der Homo-Skeptiker an der Seite. Weitreichende Emanzipationspolitik ist mit ihr am Ende von Koalitionsverhandlungen nicht zu erwarten. Immerhin: Der FDP-Chef erwähnte in seiner Dankesrede vor seinen Parteianhängern, welche Ziele er in Koalitionsverhandlungen umsetzen will: "Wir müssen dafür sorgen, dass [...] die Bürgerrechte endlich respektiert werden."

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Kurz nach dem Wahlsieg der FDP greift der Duisburger Dezernent und Kämmerer Peter Langner (SPD) den designierten Außenminister Guido Westerwelle wegen dessen Homosexualität an.

Bei einer Wahlparty am Sonntagabend erklärte der Sozialdemokrat mit Blick auf den FDP-Chef: "Ich will keinen schwulen Außenminister haben", wie "Der Westen" berichtet. Der Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) reagierte auf die Aussage von Langner mit Unverständnis: "Was Westerwelle zuhause macht, ist mir egal."

Westerwelle wird erster offen schwuler Bundesminister

Es gilt als so gut wie sicher, dass Westerwelle für die nächsten vier Jahre Außenminister und Vizekanzler einer schwarz-gelben Koalition sein wird. Als erster offen schwuler Bundesminister in der deutschen Geschichte sorgt er auch international für Aufmerksamkeit. In mehreren Homo-Zeitschriften wird seine Wahl bereits als Durchbruch bezeichnet. So beschreibt "Edge" aus Boston (US-Bundesstaat Massachusetts) den liberalen Politiker so: "Er kleidet sich schick, er ist ein professioneller Redner und verhält sich äußerst zivilisiert".

Eine Reihe von offen homosexuellen Abgeordneten konnte den Wiedereinzug ins Parlament sichern - ein schwuler Christdemokrat gewann sogar im ersten Anlauf einen Wahlkreis: Mit Ausnahme der Linken und der CSU entsenden alle Parteien offen schwule Abgeordnete.

Nach der Wahl können sich – außer der SPD – alle Parteien ein wenig wie Sieger fühlen. Auch eine Reihe von schwulen und lesbischen Kandidaten sicherte sich den Einzug ins Parlament.

Schwulstes Bundesland ist demnach NRW: Von hier aus schafften über die Landesliste Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck (Listenplatz 2) und Kai Gehring (Listenplatz 10), der Sprecher für Jugend- und Hochschulpolitik, den Wiedereinzug ins Parlament. Auch die offen lesbische Abgeordnete Bettina Herlitzius schaffte über Listenplatz 13 gerade so den Einzug ins Parlament. Sie zog 2007 für einen ausgeschiedenen Abgeordneten ins Parlament nach. Bei der FDP kamen der designierte Außenminister Guido Westerwelle (Listenplatz 1), Jörg van EssenMichael Kauch (Listenplatz 10) zum Zug.

Aus Baden-Württemberg schaffte über die Landesliste Gerhard Schick (Listenplatz 4), der finanzpolitischen Sprecher der Grünen, locker den Wiedereinzug ins Parlament. Der Volkswirt mit dem Faible für Kirchenmusik ist seit 2003 nach französichem Recht verpartnert. Über die schwäbische Landesliste konnte auch Biggi Bender (Listenplatz 7) als zweite offen lesbische Abgeordnete wieder eine Fahrkarte nach Berlin lösen.
(Listenplatz 3) und
(Fortsetzung nach Anzeige)


Schwuler CDU-Kandidat holt Direktmandat in Stuttgart

Der offen schwule CDU-Kandidat Stefan Kaufmann schlug im Stuttgarter Süden Parteichefs von Grünen und SPD.
Der offen schwule CDU-Kandidat Stefan Kaufmann schlug im Stuttgarter Süden Parteichefs von Grünen und SPD.
Im selben Land errang ein CDU-Mann erstmals ein Direktmandat für den Bundestag: Der 40-jährige Rechtsanwalt Stefan Kaufmann profitierte dabei davon, dass sich SPD und Grüne im Stuttgarter Süden nicht auf einen Direktkandidaten einigen konnten, so dass er mit 34,4 Prozent für die Christdemokraten holen konnte – und damit seiner Partei ein weiteres Überhangmandat bescherte. Er gewann mit 4,5 Prozent Vorsprung vor dem grünen Parteichef Cem Özedemir, der nicht über die Landesliste abgesichert war. Dagegen zieht die SPD-Kandidatin Ute Vogt trotz katastrophaler 18 Prozent ins Parlament ein – sie war über die Landesliste abgesichert. Die baden-württembergische SPD-Chefin schaffte es aber, die Erststimmen für ihre Partei mehr als zu halbieren. CDU-Sieger Kaufmann gilt mit seinen liberalen gesellschaftlichen Ansichten nicht als typischer Vertreter der konservativen schwäbischen Christdemokraten. So sorgte es für Irritationen, dass er bei Stuttgarter CSD Wassereis mit dem Spruch "schwul ist cool" verteilen ließ und sich dort auch Diskussionen stellte. Auf seiner Website muss man aber lange suchen, um einen Hinweis auf seine sexuelle Orientierung zu finden.

Die Linke stellt dagegen trotz ihres starken Abschneidens keinen einzigen offen schwulen oder lesbischen Bundestagsabgeordneten. Fast geschafft hätte es Klaus Lederer, der seit 2005 Landeschef der Berliner Linkspartei ist. Er scheiterte in seinem Wahlkreis Berlin-Mitte, in dem er in einem äußerst knappen Rennen mit 19,1 Prozent hinter der SPD (26 Prozent), CDU (22 Prozent) und Grünen (21,5 Prozent) nur den vierten Platz belegte. Auch über die Landesliste reichte der Einzug nicht. Aus Berlin darf die Linke nur fünf Abgeordnete in den Reichstag entsenden – Lederer war aber auf der Landesliste auf Platz sechs gesetzt.

Johannes Kahrs bleibt im Parlament

Weiter für eine geschrumpfte SPD im Bundestag: Johannes Kahrs aus Hamburg
Weiter für eine geschrumpfte SPD im Bundestag: Johannes Kahrs aus Hamburg
Auch der prominentste offen schwule SPD-Abgeordnete sicherte sich den Wiedereinzug ins Parlament: Johannes Kahrs

In seinem Wahlkreis besiegte Kahrs dabei auch den grünen Homo-Aktivisten Farid Müller, der immerhin 16,5 Prozent der Erststimmen erzielen konnte. Müller bleibt damit Bürgerschaftsabgeordneter in Hamburg, wo seine Partei mit der CDU eine Regierung bildet.

Mehrere schwule Kandidaten scheiterten: So musste sich der 24-jährige Michael Adam wie erwartet dem übermächtigen CSU-Konkurrenten geschlagen geben: Er erreichte im Wahlkreis Straubing aber immerhin 22,4 Prozent der Erststimmen – und damit 2,5 Prozent mehr als der SPD-Kandidat vor vier Jahren. Bei den Zweitstimmen verlor seine Partei dagegen sechs Prozent. Adam war vergangenes Jahr in die Schlagzeilen geraten, weil er als schwuler Protestant jüngster Bürgermeister des konservativen bayerischen Ortes Bodenmais wurde (queer.de berichtete). Auch Christian Vorländer (SPD), Manfred Krönauer (FDP) und Eduard Stapel (Grüne) erhielten nicht genügend Stimmen, um dem 17. Bundestag anzugehören.

Als historisch dürfte die Regierungsbildung bezeichnet werden: Hier wird mit Guido Westerwelle voraussichtlich erstmals ein offen schwuler Politiker ein Bundesministerium führen – und auch den Posten des Vizekanzlers einnehmen. Weltweit wäre Deutschland das erste Land mit einem schwulen Außenminister, was gerade bei Reisen in homofeindliche Länder zu Komplikationen führen könnte. Nachdem Angela Merkel als erste Frau im Kanzleramt bereits vor vier Jahren Geschichte geschrieben hat, ist nun Westerwelle ein Eintrag in die Geschichtsbücher so gut wie sicher.
musste aber in Hamburg-Mitte kräftig Federn lassen: Er erreichte nur noch 34,6 Prozent. Sein Vorsprung auf die CDU sank damit im Vergleich zu 2005 von 22 Prozent auf acht Prozent. Der 46-Jährige ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. Als Chef des wirtschaftsliberalen Seeheimer Krieses rieb er sich wiederholt mit Parteilinken wie Andrea Nahles. Ende 2008 wurde ihm innerparteilich vorgeworfen, in einem Hamburger Wahlkreis eine Mehrheit gegen den links orientierten Niels Annen organisiert zu haben, der daraufhin nicht mehr als Direktkandidat aufgestellt wurde.

Samstag, 26. September 2009

Experten fürchten neue Bomben-Methode von Terroristen


Wie konnte ein Selbstmordattentäter bis ins Büro eines saudischen Prinzen vordringen?
Das Opfer überlebte den Anschlag leicht verletzt - doch die nun aufgedeckte Methode des Angreifers bereitet Terrorexperten Sorgen: Der Mann trug die Bombe in seinem Körper.

Hamburg - Als Ende August auf ein Mitglied des saudischen Königshauses ein Anschlag verübt wurde, gab der Fall große Rätsel auf: Der Attentäter, ein gesuchter Terrorist, war bis ins Büro des Prinzen Mohammed Bin Naif vorgedrungen, wo er seinen Sprengsatz zündete. Bin Naif, Sohn von Innenminister Prinz Najef und in Saudi Arabien zuständig für die Terrorbekämpfung, wurde wie durch ein Wunder nur leicht verletzt.

Der Terrorist war bei einem Empfang zum Ramadan in der Hafenstadt Dschidda erschienen und hatte behauptet, er wolle sich den Behörden stellen. Doch wie konnte er mit einem Sprengsatz bis in das Zimmer von Bin Naif vordringen - trotz höchster Sicherheitsvorkehrungen?

Terrorexperten haben nun offenbar die Antwort gefunden - und die könnte beunruhigende Konsequenzen haben: Der Attentäter trug die Bombe nicht wie bisher angenommen in seinem Handy - sondern in seinem Körper. Nach Meinung der Experten könnte das Konsequenzen für die Anti-Terror-Strategie an Flughäfen haben.

"Es gibt enorme Auswirkungen auf die Sicherheit an Flughäfen", sagte Peter Neuman, Terrorexperte am Kings College in London, der BBC. Es könnte möglicherweise in Zukunft noch komplizierter werden, ein Flugzeug zu besteigen, so Neuman. "Wenn es wirklich stimmt, dass die Metalldetektoren den versteckten Sprengsatz nicht finden konnten, würde das bedeuten, dass die Detektoren, die derzeit eingesetzt werden, ziemlich nutzlos sind".

Attentäter in zwei Teile zerrissen

Laut Medienberichten hatte der Attentäter von Dschidda etwa ein halbes Kilogramm Sprengstoff in sich. Nach Angaben der saudischen Zeitung "Okaz" war das Handy des Attentäters mit zwei Sim-Karten ausgestattet. Eine diente demnach der Kommunikation mit dessen Komplizen im Yemen, mit der anderen zündete die Terrorgruppe den Sprengsatz, dessen Zünder sich offenbar im Darm des Terroristen befand.

Das explosive Material war den Berichten zufolge in kleinen Bündeln enthalten, die nicht aus Metall bestanden. Welches Material der Attentäter zur Explosion gebracht hatte, wird derzeit noch untersucht.

Den Berichten zufolge hatte der Terrorist die 40 Stunden vor dem Anschlag nicht gegessen oder getrunken, um die Kraft der Explosion nicht zu mindern.

Dass Bin Naif nur leicht verletzt wurde, obwohl der Sprengsatz direkt neben ihm detonierte, führen Experten darauf zurück, dass die Wucht der Explosion sich nur nach unten entlud. In den Boden wurde ein Krater gedrückt, der Attentäter wurde in zwei Teile zerrissen.

Der Fall von Dschidda stellt alle bisherigen Überprüfungsmethoden von Flugpassagieren in Frage: So können auch sogenannte Ganzkörperscanner nur sichtbar machen, was Menschen unter der Kleidung tragen, nicht aber unter der Haut. Die Scanner nutzen Terahertzwellen, um sekundenschnell ein genaues Abbild des Körpers der Person zu liefern. Dabei können nicht nur Metallobjekte, sondern auch Plastiksprengstoffe oder illegale Schmuggelwaren ausfindig gemacht werden. Ähnlich präzise Bilder liefern Scanner mit Röntgentechnologie.

In den USA werden die Scanner bereits an Flughäfen eingesetzt bzw. getestet. Die EU stoppte im Oktober 2008 den Einsatz von Nacktscannern nach einem Sturm der Entrüstung.

Hunderte Terrorverdächtige wieder in die Gesellschaft eingegliedert

Der Anschlag auf Bin Naif war das erste bekanntgewordene Attentat auf ein Mitglied der Königsfamilie seit den Terrorattacken vom 11. September 2001 in den USA. Danach intensivierte Saudi-Arabien den Kampf gegen den Terrorismus und das Netzwerk Osama Bin Ladens. 15 der 19 Attentäter des 11. Septembers stammten aus dem Königreich - wie Bin Laden auch.

Die saudi-arabische Regierung versucht seit mehreren Jahren durch ein Wiedereingliederungsprogramm Mitglieder von Terrororganisationen zum Aufgeben zu bewegen. Dabei haben sich nach Angaben des saudi-arabischen Innenministeriums schon mehrere Terroristen gestellt. Hunderte Terrorverdächtige seien wieder in die Gesellschaft eingegliedert worden. Zwischen 2003 und 2006 hatten al-Qaida nahestehende Terroristen eine Serie von Anschlägen in Saudi-Arabien verübt.

Freitag, 25. September 2009

L'État c'est moi

Die Kultur der Achtsamkeit

Welche Macht hat der Staat noch? Und was hat das mit uns zu tun? Serie zur Wahl.
These 1: Die Fragen der Zukunft lassen sich nicht mit den Erfahrungen der Vergangenheit lösen.
VON HARALD WELZER

Der Staat musste reichlich Euro in die Banken schießen: Skulptur vor der EZB in Frankfurt.

Einen Augenblick lang sah es während der Finanzkrise so aus, als erlebe der Staat eine Renaissance und der Neoliberalismus seinen Showdown. Inzwischen zeigt sich: Auch diese Krise ist bloß eine weitere Runde in der Externalisierung von Kosten und der Privatisierung von Gewinnen, wenn auch spektakulärer als je zuvor.

Tatsächlich wird die gigantische Staatsverschuldung die Spielräume der staatlichen Institutionen noch viel enger machen als bislang. Und obwohl der Planungsstaat auch angesichts des Klimadesasters als Ausweg herbeigewünscht wird, wird er schon aus wirtschaftlichen Gründen nicht kommen.
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Das ist auch gut so. Er ist weder demokratietheoretisch wünschenswert noch zukunftsfähig, da Planer sich notwendigerweise am Gegebenen orientieren. Und das ist in einer Phase fatal, in der nicht nur gesellschaftliche Teilbereiche wie die Wirtschaft, das Gesundheits- oder das Bildungssystem in der Krise sind, sondern das Bezugssystem dieser Krisen, die atlantisch-kapitalistische Kultur der Ressourcenübernutzung, selbst an eine Funktionsgrenze geraten ist. Es geschieht etwas Neues, das sich mit bewährten Verfahren nicht meistern lässt, wahrscheinlich nicht einmal zureichend beschreiben.

Planungen sind in Phasen verdichteter Veränderungen und beschleunigter Veränderungsgeschwindigkeiten so starr und unflexibel, dass sie immer dazu tendieren, Fehlentwicklungen fortzuschreiben, wenn sie sie erstmal in Gang gesetzt haben. Daher ist der Planungsstaat keine Lösung, sondern Teil einer gesellschaftlichen Problemlage, die auch dadurch entstanden ist, dass zu viele Fragen und Entscheidungen aus dem politischen Gemeinwesen ausgelagert und der professionellen Politik und der Expertokratie überlassen worden sind. Das muss dringend anders werden.

Harald Welzer, Jg. 1958, ist Direktor des Center for Interdisciplinary Memory Research in Essen und Prof. an der Uni Witten/Herdecke. In "Klimakriege" (2008) beschreibt er die Folgen des Klimawandels.

Die Organisationspsychologen Karl Weick und Kathleen Sutcliffe haben vor zwei Jahren ein interessantes Buch darüber geschrieben, wie Unternehmen lernen können, das Unerwartete zu managen. Ihre Erkenntnisse haben sie aus der Analyse von sogenannten High-Reliability-Organisations gewonnen - Institutionen, bei denen das Eintreten unerwarteter Ereignisse nicht einfach nur unangenehme, sondern katastrophale Folgen haben kann. Beispiele dafür sind Atomkraftwerke, Flugzeugträger, Feuerwehren, Krisenteams, die bei Geiselnahmen eingesetzt werden, Katastrophenschützer et cetera.

Die Arbeit in solchen Organisationen zielt vor allem darauf ab, dass bestimmte Ereignisse nicht eintreten - weshalb eine ganze Reihe von Eigenschaften, die in anderen Organisationen als wertvoll gelten, hier problematisch sind: Jede Form von Routine etwa ist ein Problem, weil sie die Sensibilität in Bezug auf sich abzeichnende oder ankündigende Probleme unterminiert.

Erfahrung hält man daher für problematisch, weil sie dazu führt, dass man ein Ereignis vorzeitig als etwas sieht, was schon einmal vorgekommen ist und was man daher so und so behandelt - ein häufig tödlicher Fehler. "Erfahrung an sich", schreiben Weick und Sutcliffe, "ist noch kein Grund für Sachkenntnis", sie kann im Gegenteil zur Falle werden. Nämlich dann, wenn etwas so aussieht wie ein Ereignis, das man kennt, in Wahrheit aber etwas ganz anderes ist - die beiden größten Störfälle in Atomkraftwerken, die Beinahe-Kernschmelze in Harrisburg und der GAU in Tschernobyl sind entstanden, weil die Mannschaften den Fehler falsch interpretierten.

Erfahrung kann auch in anderen Zusammenhängen tödlich sein. Die europäischen Juden unterlagen einer verhängnisvollen Fehleinschätzung, als sie annahmen, dass das, was die Nazis vorhatten, jenem Typ von antisemitischer Ausgrenzung und Verfolgung entsprach, den sie schon seit 2.000 Jahren kannten. Und die Abteilungen beim CIA, bei der Polizei und bei der National Guard, die sich mit Terrorismusbekämpfung beschäftigten, hatten jede Art von Bombenanschlag auf ihrer Liste des Erwartbaren, nicht aber die Möglichkeit, dass Terroristen Flugzeuge kapern und in Waffen umfunktionieren könnten, die in ihrer Wirkung jede Bombe übertrafen.

Erfahrungen sind dann hilfreich, wenn man es mit Vorgängen zu tun hat, die jenen gleichen, an denen man die Erfahrungen gemacht hat - für die zutreffende Einschätzung präzedenzloser Ereignisse sind Erfahrungen oft irreführend. Auch Planungen sind nach Daten und Abläufen entwickelt, die man schon kennt, und daher haben sie oft die verhängnisvolle Wirkung, haargenau an jenen Anforderungen und Aufgaben vorbeizuführen, die man anzugehen hätte, um ein unerwartetes Problem zu bewältigen.

"Das uneingeschränkte Streben nach Vorausschau mittels Planung und Forschung kann gefährliche Folgen haben", schreiben Weick und Sutcliffe. "Es unterstellt ein Maß an Verstehen, das man unmöglich erreichen kann, wenn man es mit unsicheren und dynamischen Verhältnissen zu tun hat. Es vermittelt den Beteiligten die Illusion, sie hätten die Lage im Griff, und macht sie blind für die reale Möglichkeit einer Fehleinschätzung."

Für den Umgang mit Unerwartetem kommt es vor allem darauf an, Sensorien dafür zu entwickeln, dass sich etwas ankündigt oder abzeichnet, das die routinemäßige Behandlung sofort überfordern würde - das heißt, es geht darum, misstrauisch gegenüber der Erfahrung zu sein und die Phänomene immer aufs Neue in Augenschein zu nehmen. Und es geht auch darum, auf Unerwartetes nicht mit Rückgriff auf "bewährte" Rezepte zu reagieren, sondern so schnell wie möglich die unterschiedlichsten Kompetenzen zu versammeln, die zu einer zutreffenden Problembeschreibung und -analyse beitragen können. Denn häufig fehlt es gerade daran: zu erkennen, welches Problem überhaupt vorliegt.

Nehmen wir die Klimaerwärmung: Dabei handelt es sich in vielerlei Hinsicht um ein in seinen Dimensionen und Eigenschaften neues Problem, das nicht mit dem Rückgriff auf alte Gedanken zu lösen ist und sicher nicht mit dem Drehen an den üblichen Stellschrauben - ordnungspolitische Maßnahmen, Konsumanreize, technische Verbesserungen - in den Griff zu bekommen ist. Um hier auch nur zu einer hinreichenden Problembeschreibung zu kommen (von einer "Lösung" noch ganz zu schweigen), ist eine Kultur der Achtsamkeit vonnöten, die nicht alles, was einem in die Optik kommt, in die Kategorien des schon Bekannten und Gewussten einsortiert.

Achtsamkeit bedeutet eine permanente Prüfung und Überarbeitung bestehender Erwartungen, dazu eine erhöhte Aufmerksamkeit auf mögliche Fehler und Abweichungen - kurz: ein permanentes Lernen in einer Umgebung, die in ständiger Veränderung begriffen ist. Achtsamkeit ist nichts anderes als die stetige Aktualisierung seiner Beobachtungen, aber was sich so schlicht anhört, hat einen Paradigmenwechsel in den Prioritäten zur Voraussetzung, nach denen man handelt: Wie Erfahrung hinderlich ist und Pläne problematisch sind, so gelten nun Fehler nicht als schlecht, sondern als eminent wichtige Quellen von Informationen - Informationen darüber, welchen Lauf die Dinge nehmen können.

Achtsamkeit, die die Aufmerksamkeit auf das Unerwartete, das Ungewisse, das Widersprüchliche richtet, wird ein für die Wahrnehmung und Steuerung gesellschaftlicher Veränderungsprozesse wichtiges Prinzip: Wie Jared Diamond gezeigt hat, bestand einer der Sargnägel gescheiterter Gesellschaften gerade darin, in Krisensituationen jene Handlungsstrategien zu intensivieren, mit denen sie lange Zeit erfolgreich waren, anstatt flexibel auf die sich verändernden Anforderungen zu reagieren.

Wenn also Ökonomen im Angesicht der größten Weltwirtschaftskrise seit - ja, seit wann eigentlich; vielleicht hat sie ja keinen Vergleich? - darauf verweisen, dass Wirtschaft prinzipiell von Zyklen geprägt ist (what goes down, must come up), schließt das die Möglichkeit aus, dass es nun nur down und nicht mehr up gehen könnte.

Ist das hilfreich, wenn man über Wege aus der Krise nachdenkt? Wenn Techniker darauf verweisen, dass es noch immer gelungen sei, neue Energiequellen aufzutun, weshalb sich unsere Probleme durch bessere Verfahren der Energieerzeugung lösen ließen - haben sie dann das Problem richtig beschrieben? Jemand, der achtsam ist, würde sagen, die Frage der Energieerzeugung ist der Frage nach dem Energiebedarf nachgeordnet, also sollten wir erst darüber nachdenken, wozu wir Energie brauchen, bevor wir die Ingenieure machen lassen.

Die sind von ihren Machbarkeitsfiktionen und Plänen ohnehin so eingeschränkt, dass sie nie an die Kollateralschäden und die nicht beabsichtigten Folgen denken, die ihre Innovationen anscheinend grundsätzlich mit sich bringen - man denke da nur an die Probleme, die der Biosprit nach sich zieht. Oder überhaupt an die unerwarteten Folgen der Industrialisierung: An den Klimawandel hatte niemand gedacht, als die Schornsteine noch rauchten.

Wenn Politiker und Planer keine Ahnung haben, mit welcher Art von Krise sie es zu tun haben, dann wissen sie logischerweise auch nicht, wie sie zu managen ist. Wäre es nicht produktiver, das zu sagen, als mit dem Verfahren von Versuch und Irrtum (Lehman pleitegehen lassen, Hypo Real Estate retten) scheinbar zu steuern und schließlich bei absurd kontraproduktiven, weil veränderungsfeindlichen Lösungen zu landen wie der Abwrackprämie oder der Auflistung von Steueroasen (als seien die das Problem, wenn die Ackermänner dieser Welt verkünden, Umsätze und Gewinne ließen sich jährlich um 25 Prozent steigern).

Als der G-20-Gipfel im April 2009 beschloss, die Finanzmärkte besser zu regulieren, war das so wenig ein Arbeiten an den Problemen wie der frivole Beschluss der Bundesregierung, eine "Schuldenbremse" ab dem Jahr 2020 einzuführen.

Statt Illusionen von rationaler Planung zu erzeugen, würde eine Kultur, die achtsam auf die Anzeichen heraufziehender oder die Fakten bestehender Probleme ist, eher dazu neigen, nach dem Nicht-Bekannten in dem zu suchen, was aussieht, als kenne man es - nach dem also, was den Erwartungen nicht entspricht, vor allem nach dem, was Konsequenzen nach sich zieht, die unumkehrbar sind.

In nicht achtsamen Kulturen wird weiter an Dingen herumverbessert, die selbst das Produkt einer Fehlentwicklung sind, anstatt zurückzugehen zu dem Punkt, an dem diese Entwicklung angefangen hat, und noch einmal neu zu starten - man denke nur an die Groteske der pausenlosen Gesundheitsreformen, die alles schlechter machen, als es vorher schon war.

Achtsamkeit ist in diesem Sinn ein Instrument zur Sicherstellung der Reversibilität von Entscheidungen, um verhängnisvolle Entwicklungspfade und Eskalationswirkungen systematisch zu vermeiden. Eine Gesellschaft, die sich für ihre Fehler und Fehlentwicklungen interessiert und weiß, dass ihre Entwicklung dynamisch und nicht vollständig planbar ist, die Erfahrung für hinderlich hält bei dem Versuch, das Unerwartete zu erkennen, ist eine in Echtzeit lernende Gesellschaft, und genau die brauchen wir, weil das, was wir zu bewältigen haben, das Unerwartete ist, das wir noch gar nicht im ganzen Umfang erkannt und beschrieben haben. Eine solche Gesellschaft ist jedem Planungsstaat prinzipiell überlegen, weil sie im Gegensatz zu diesem auf Veränderungsanforderungen flexibel und schnell reagieren kann.

Die Planungsutopien aus dem 20. Jahrhunderts haben uns drastisch darüber belehrt, dass der Planungsstaat im günstigsten Fall versagt und im ungünstigsten in Unfreiheit und Totalitarismus endet. Planungsstaaten sind in Zeiten ungeheuer dynamisierter Wandlungsprozesse nicht geschmeidig genug, Zukunftsanforderungen angemessen zu beantworten - dafür ist eine lernende, auf Reversibilität in ihren Entscheidungen angelegte Gesellschaft notwendig. Eine solche erfordert erheblich mehr bürgerschaftliches Engagement, als in der demokratischen Kultur der Gegenwart zu sehen ist.

UN-Präsident halt Homosexualität für inakzeptabel

Fühlt sich in seiner Homophobie mehrheitsfähig: Ali Treki, Präsident der UN-Vollversammlung
Fühlt sich in seiner Homophobie mehrheitsfähig: Ali Treki, Präsident der UN-Vollversammlung

Der Präsident der UN-Vollversammlung, der Libyer Ali Abdussalam Treki, hat Homosexualität aus religiösen Gründen als "nicht akzeptabel" bezeichnet.

Der 71-Jährige erklärte bei einer Pressekonferenz in New York, hierbei handele es sich um ein "sehr sensibles Thema": "Als Moslem bin ich dagegen", so der ehemalige libysche Außenminister. "Ich denke, es ist nicht akzeptabel wegen unserer Religion, unserer Tradition." Die Mehrheit der Welt sei gegen "dieses Thema": "Buddhisten, Juden, Hindu und andere lehnen das genauso ab wie wir". Es gebe zwar Länder, die derlei Aktivitäten erlaubten: "Die sehen das als eine Art Demokratie an, aber ich glaube, sie sind fehlgeleitet", so Treki. Das Wort "Homosexualität" nahm Treki nicht in den Mund.

Die Präsidentschaft der UN-Vollversammlung wechselt jährlich, dabei wird zwischen fünf geografischen Regionen rotiert. Treki übernahm das Amt am 10. Juni vom Nikaraguaner Miguel d'Escoto Brockmann.
Der libyische Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi hat am Donnerstag zudem für einen Eklat in der UN-Vollversammlung gesorgt, als er bei einer Rede den Sicherheitsrat als "Terrorrat" bezeichnete und einen Teil der UN-Charta zerriss. Gaddafi wurde vor seinem Auftritt vom Versammlungspräsidenten Treki als "König der Könige" angekündigt.

Die Vereinten Nationen haben zuletzt im Dezember 2008 eine französische Erklärung gegen die Verfolgung von Homosexuellen abgelehnt. Nur 66 von 192 Mitgliedsstaaten unterzeichneten das Dokument.

In Libyen ist Homosexualität illegal und wird offiziell mit einer Haftstrafe von fünf Jahren handelt. Es gibt dort kein offenes schwul-lesbisches Leben. Viele Homosexuelle versuchen, der Diktatur durch Flucht ins Ausland zu entkommen.

Beckstein wettert vor Senioren gegen "Killerspiele"

Bei einem Nachbarschaftsgespräch, organisiert von CSU und Seniorenunion, hat der ehemalige bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein erneut das Verbot von so genannten Killerspielen gefordert.

"Das Spiel Counter-Strike wurde von der US-Army entwickelt, um die Gewaltschwelle bei den Soldaten herabzusetzen. Derartige Spiele gehören nicht nur zensiert, sondern verboten!", sagte er laut einem Bericht der 'Nürnberger Nachrichten'. Immerhin gehört es seiner Meinung nach zu den besonders grausamen PC-Killerspiele.

Er zog dabei Parallelen zwischen dem Spiel und einer Zunahme an Gewalt und Brutalität unter den Jugendlichen. Diese habe erst kürzlich zum Tod eines Mannes geführt, der zusammengeschlagen wurde, nachdem er Kindern in der S-Bahn zu Hilfe kam.

Beckstein sprach sich außerdem für einen deutlichen Ausbau der Videoüberwachung aus. Diese habe bereits dazu geführt, dass die Zahl der Gewaltdelikte an überwachten Orten zurückgegangen sei. "Schon ein Schild als Hinweis darauf hat eine hemmende, wenn nicht sogar abschreckende Wirkung", sagte er.

Putscharmee setzt Schallkanonen ein

Bei den Waffen handelt es sich nach Medienberichten um ein Geschenk der israelischen Armee

LRAD im Einsatz vor der Botschaft Brasiliens

Tegucigalpa. Bei der Belagerung der brasilianischen Botschaft in Tegucigalpa sind von der honduranischen Armee neuartige Waffen eingesetzt worden. In der Vertretung hält sich seit Montag der gewählte Präsident des Landes, Manuel Zelaya, auf, der am 28. Juni Opfer eines Staatsstreiches geworden war.

Aktivisten der Demokratiebewegung filmten Soldaten und mutmaßliche Mitglieder von Sondereinheiten der Polizei beim Einsatz so genannter Schallkanonen. Zuvor schon hatten honduranische Blogs über den ohrenbetäubenden Lärm berichtet berichtetet, mit dem die diplomatische Vertretung Brasiliens beschallt wurde. Zudem zeugen mehrere Fotos davon, dass in den Tanks der Wasserwerfer eine bisher unbekannte, rote Substanz beigemischt ist. Demonstranten, die mit diesem Stoff in Berührung kommen, beklagten sich über Hautreaktionen und Kopfschmerzen.

Die "Schallkanonen" wurde vor wenigen Jahren im Auftrag des US-Verteidigungsministeriums entwickelt. Im US-Militärjargon wird die Waffe als "Long Range Acoustic Device" (LRAD) bezeichnet. Hergestellt wird die Waffe von dem US-amerikanischen Rüstungskonzern American Technology Corporation (Sound-Laser). Das LRAD sendet akustische Signale im Bereich von 2100 bis 3100 Hertz aus. Weil der Pegel des Schalldrucks mit 150 Dezibel sehr hoch ist, sind einfache Durchsagen noch in einer Entfernung von 500 Metern zu hören. Im Kampfeinsatz sendet das LRAD schrille Töne aus, die bei Zielpersonen einen starken Schmerzreiz auslösen. Die Herstellerfirma wirbt mit dem möglichen Einsatz gegen Demonstranten und Menschenansammlungen. Bei einer dauerhaften Exposition können schwere Hörschäden verursacht werden.

Die akustische Waffe LRAD wurde von der US-Armee bereits im Irak-Krieg eingesetzt. Die israelische Armee soll sie in den besetzten Gebieten gegen aufständische Palästinenser anwenden. Nach einem Bericht der honduranischen Tageszeitung La Tribuna, die dem Putschistenregime politisch nahe steht, handelt es sich bei der in den vergangenen Tagen eingesetzte LRAD-Kanone um ein "Geschenk der israelischen Armee". Das Blatt berichtet begeistert über den Effekt bei dem Einsatz vor der brasilianischen Botschaft:

"Die Demonstranten schleuderten Steine und Stöcke, als ein weißes Fahrzeug in Begleitung von zwei Polizisten und der gleichen Zahl Soldaten vorfuhr. Die Autos waren mit unbekannten Geräten bestückt, die an moderne Lautsprecher erinnerten. Wenige Sekunden später erschallte ein Ton, der die Luft durchschnitt. Die aufständische Menge geriet in Panik, die Menschen hielten sich die Ohren zu und krümmten sich vor Schmerzen."

Das Vorgehen gegen Aktivisten der Demokratiebewegung hat inzwischen auch auf internationaler Ebene Kritik ausgelöst. Die Rio-Gruppe, ein Zusammenschluss lateinamerikanischer Staaten, hat in einem Stellungnahme die Gewaltanwendung durch die bewaffneten Organe des Putschregimes verurteilt. Der Staatenbund "ruft nachdrücklich dazu auf, in Übereinstimmung der Wiener Konvention die Unverletzbarkeit der brasilianischen Botschaft zu garantieren".


Den Originaltext des Onlinemagazins Telepolis mit weiterführenden Links finden Sie hier.

Sie rocken nicht

Röcke an Männerbeinen

Männer dürfen alles tragen - außer Röcke. Als eine der wenigen modischen Revolutionen lässt der selbstbewusste Mann mit Rock auf sich warten. Warum? VON LUISE STROTHMANN

Als Schottenrock ist das Kleidungsstück auch bei Männern erlaubt.

Wann alles so richtig vorbei war, darauf können sie sich nicht einigen, aber fest steht: Es ist vorbei. Sandra Kuratle, die einzige Designerin im deutschsprachigen Raum, die ausschließlich Männerröcke entwarf, nahm 2001 Hosen in ihre Kollektion auf. Robert Landinger und Doreen Anders schlossen ihren Männerrockladen in München 2004.

Ben Neudeck, der seit zehn Jahren Männerrockforen im Internet verfolgt, sagt: "Es werden tendenziell eher weniger." Sie alle fühlten sich als Wegbereiter einer kleinen Revolution in der Mode. Sie dachten: Klar, es dauert, aber irgendwann werden Röcke für Männer normal.

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Die Einzige, die da heute noch Hoffnung hat, ist die Soziologin. Aida Bosch, 45, beschäftigt sich an der Universität Erlangen mit Modesoziologie. "Meine Prognose ist, dass die Zeit für den Männerrock bald reif ist. Es ist das letzte Tabu, das fallen kann, und die Mode ist immer auf der Suche nach dem Neuen, dem Ungesehenen", sagt Bosch.

Sandra Kuratle war auf dieser Suche, als sie in ihrem Studium an der Züricher Kunsthochschule die Röcke des Designers Jean Paul Gaultier entdeckte. "Ich fand das einfach sehr attraktiv", sagt sie. "Die Figur kam besser raus, es wirkte majestätisch - und sehr männlich." Sie las über Kimonos und Kilts, Togas und Kaftane.

Darüber, dass mit der Französischen Revolution das Äußere des Mannes immer mehr gleich gemacht und rationalisiert wurde - gipfelnd im Anzug. Die Modedesignstudentin begann zu experimentieren, und ihre Diplomarbeit entstand: "Röcke machen Männer". Bei den Prêt-à-porter-Modeschauen in Paris stellte sie ihre Kollektion vor. Nächste Woche, am 1. Oktober, wenn die Schauen wieder beginnen, ist das genau 15 Jahre her.

Zwischendurch gab es durchaus Grund, an einen Wandel zu glauben. "Mit der Technoszene in den Neunzigern gab es eine Zeit lang einen richtigen Boom", sagt Kuratle. "Die Leute kamen in den Laden, haben Röcke angezogen und sind rauf auf die Straße."

Etwa zur gleichen Zeit - 1999 - ging Robert Landinger in einem von seiner Frau geschneiderten Rock in eine Boutique im Münchener Glockenbachviertel. Der Besitzer suchte gerade händeringend nach einem Rocklieferanten. So wurden der Punkmusiker Landinger und die Schneiderin Doreen Anders zu Modedesignern.

Gemeinsam mit Sandra Kuratle - aber auch mit Stars wie Vivienne Westwood - wurden ihre Arbeiten 2003 im Metropolitan Museum of Art in New York ausgestellt. Unter dem Titel: "Bravehearts - Men in Skirts".

Das Problem sei, sagt Sandra Kuratle, dass der Männerrock für die Mehrheit ein Modegag blieb - nicht alltagstauglich. "Man hat ihn nicht ernst genommen."

Es gibt in Deutschland heute drei Gruppen von Männern, die Röcke tragen. Einmal Designer und Modeinteressierte, die das Kleidungsangebot für Männer langweilig und beengend finden und endlich mal etwas anderes anziehen wollen. "Viele meiner Kunden heiraten im Rock, weil sie so gelangweilt sind von den Anzügen, die sie schon den ganzen Tag tragen müssen", sagt Kuratle.

Dann Alternative und Menschen aus der Queerszene, die ihre Kritik an den klassischen Geschlechterrollen im Rocktragen leben. Schließlich eine Gruppe von Menschen, für die Männerröcke einfach ein Hobby sind, wie für andere Modelleisenbahnen - inklusive Websites und Gruppengefühl.

Ben Neudeck ist irgendwo zwischen Gruppe eins und drei. Der 37-jährige Münchener arbeitet als Erzieher in einer Behinderteneinrichtung, er trägt im Durchschnitt vier Tage die Woche Rock. Vor zehn Jahren stieß er im Internet zufällig auf ein Männerrockforum. Zwei Jahre lang klickte er immer wieder rein, dann ging er mit seiner damaligen Freundin in die Karstadt-Frauenabteilung.

Er suchte den männlichsten Rock aus - schwarz, schlicht, keine Rüschen. Die Mikrofaser fühlte sich gut an, aber als er das erste Mal damit auf die Straße ging, leicht gebeugt, unsicher, riefen Jugendliche: "Bist du schwul, Mann?" Ein paar Tage später kaufte sich Ben Neudeck dennoch drei weitere Röcke. Und wurde Mitglied von Deutschlands einzigem Männerrockstammtisch. "Das hatte etwas von Selbsthilfegruppe", sagt Neudeck.

Rocktragen ist Selbstbewusstseinstraining. "Den Leuten, die zu mir kommen, ist es entweder egal, angeschaut zu werden, oder sie mögen es", sagt Sandra Kuratle. Und sie müssen männlich bleiben. Die Designerin arbeitet mit Doppelsteppnähten und Schnallen - traditionellen Details von Männerkleidung.

Männer zum Rocktragen zu bringen, das funktioniere anders als Frauen zur Hose. "Die Emanzipationsschiene klappt nicht", sagt Kuratle. Frauen wollten das mit der Hose verbundene symbolische Kapital. Männer das mit dem Rock verbundene nicht. "Der Mann hat die Hosen an - das sitzt ganz tief", sagt die 43-Jährige.

Stoff als Identitätspolitik: "Während sich die Geschlechterrollen in der Gesellschaft gelockert haben, haben sie sich in der Mode verschärft. Vielleicht ist das eine Gegenreaktion, um das Spiel mit der Erotik zu erhalten", sagt Soziologin Bosch. Ihre Hoffnung sind die Schulterpolster: Männlichkeit für Frauen, seit einem Jahr wieder in. In den Achtzigern tauchten sie etwa zeitgleich mit den ersten Männerröcken auf. In der Mode ist nie etwas wirklich vorbei.

Schwarzfahrer legen Hauptbahnhof lahm

E ine Stunde lang ging nichts mehr am Hauptbahnhof von Barcelona: Weil Dutzende Schwarzfahrer vor Kontrolleuren in die Gleistunnel flüchteten, musste der Verkehr unterbrochen werden - damit die Polizei die Verfolgung aufnehmen konnte.

Barcelona - Eine Gruppe von Schwarzfahrern hat im Hauptbahnhof von Barcelona den Zugverkehr am Freitag für etwa eine Stunde zum Erliegen gebracht. Etwa 40 Fahrgäste, die einen Regionalzug ohne Tickets benutzt hatten, waren vor Kontrolleuren in die Tunnel der unterirdisch verlaufenden Gleise geflüchtet.

Die Polizei ordnete daraufhin eine Unterbrechung des Verkehrs an, damit die Beamten die Verfolgung aufnehmen konnten. Bei den Schwarzfahrern handelte es sich nach Angaben der spanischen Behörden um illegale Zuwanderer aus Afrika. Die Polizei nahm etwa 20 von ihnen fest und übergab sie der Ausländerbehörde.