Montag, 31. August 2009

Wahlergebnisse sickerten vorab auf Twitter durch

Von Ole Reißmann

Wurden die Landtagswahlen unzulässig beeinflusst? Gut 90 Minuten, bevor die Wahllokale schlossen, kursierten Prognosen im Internet. Unter anderem wurde dafür der Twitter-Account eines CDU-Politikers genutzt. Der streitet die Indiskretion ab - den Zugang hat er inzwischen gelöscht.

Hamburg - Die ersten Prognosen zu den Landtagswahlen kursierten bereits am Nachmittag im Internet, vor Schließung der Wahllokale. Über den Kurznachrichtendienst Twitter gaben zwei Nutzer gegen 16.30 Uhr Zahlen für das Saarland, Sachsen und Thüringen bekannt.

Dabei dürfen die sogenannten Exit-Polls, Umfragen am Tag der Stimmabgabe, nicht öffentlich gemacht werden. Die Wahl könnte, so die Befürchtung, sonst unzulässig beeinflusst werden. Die Wahlgesetze von Bund und Ländern verbieten das ausdrücklich - wer dennoch Umfrageergebnisse verrät, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Darauf steht eine Strafe von bis zu 50.000 Euro.

Quellen für ihre Zahlen nannten die beiden Twitter-Nutzer nicht - doch ihre Prognosen weichen nur wenig von den ersten Ergebnissen ab, die um 18 Uhr im Fernsehen veröffentlicht wurden. Mal sind sie um ein Prozent zu hoch, mal um ein halbes Prozent zu niedrig. Fast alle Zahlen ähneln den Prognosen so sehr, dass sie kaum geraten sein können. Und sie gleichen den Exit-Polls, über die die Parteien und damit auch Journalisten schon am Nachmittag des Wahlsonntags informiert wurden. Sie können die Exit-Polls gut gebrauchen, um ihre ersten Reaktionen und Statements vorzubereiten. Bisher wussten sie mit diesem Privileg umzugehen - und hielten dicht.

"Sehr problematisch" findet das der stellvertretende Landeswahlleiter von Sachsen, Uwe Reimund Korzen-Krüger, denn auch den Verrat. Man werde rechtliche Schritte prüfen, "wenn sich herausstellt, dass Ergebnisse vor 18 Uhr veröffentlicht wurden, die nicht nur auf Hörensagen, sondern auf Umfrageergebnissen nach der Stimmabgabe beruhen", sagte er SPIEGEL ONLINE.

CDU-Twitterer: "Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat"

Doch das mit der Geheimhaltung war einmal. Seitdem die Eingeweihten sich nicht nur gegenseitig SMS schicken - von Telefon zu Telefon -, sondern auch den Kurznachrichtendienst Twitter im Internet verwenden. Dass Horst Köhler im Mai dieses Jahres erneut zum Bundespräsidenten gewählt wurde, sollte eigentlich der Präsident des Bundestags feierlich verkünden. Doch bevor Norbert Lammert ans Mikrofon trat, hatten zwei Abgeordnete aus SPD und CDU die Wiederwahl Köhlers mit einer Kurznachricht im Internet bekanntgegeben.

Angesichts der neuen Gesprächigkeit warnt Bundeswahlleiter Roderich Egeler schon vor einer Katastrophe bei der Bundestagswahl: "Es wäre der GAU, wenn die Wählerbefragungen vor Schließung der Wahllokale öffentlich bekanntwürden." Denn wenn sich herausstellen sollte, dass die vorab herausposaunten Exit-Polls die Wahlen beeinflusst haben, könnten die Abstimmung nachträglich angefochten und für ungültig erklärt werden - wie jetzt auch bei den Landtagswahlen.

Einer der Twitter-Accounts, über den die Wahlprognosen ins Netz sickerten, wurde mittlerweile abgeschaltet. Es ist der Zugang von Patrick Rudolph, CDU-Vorsitzender im Stadtverband Radebeul. "Ich weiß nicht, wer das geschrieben hat", sagte Rudolph auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE. Er sei es jedenfalls nicht gewesen - und habe den Account deswegen gelöscht.

Da hatten die Zahlen aber bereits die Runde in dem Kurznachrichten-Kosmos gemacht, waren unaufhaltsam wiederholt und kopiert worden.

Erstem Stadtrat-Piraten ist noch mulmig

Die Piratenpartei erzielt in Nordrhein-Westfalen kommunale Achtungserfolge, eine eigene formiert sich in Kanada. Ein Superhacker hofft auf Mindeststrafe von 15 Jahren, warum Teenies nicht twittern - das und mehr im Überblick.

Sie traten nur bei einer der drei Landtagswahlen an, bei der Kommunalwahl in NRW nur in zwei Städten, trotzdem feiert die Piratenpartei einen Doppelerfolg: Sowohl in Aachen als auch in Münster gelang es der Newcomer-Partei wie bereits berichtet, in die Stadtparlamente einzuziehen. Mit 1,7 und 1,6 Prozent reichte es für jeweils ein Mandat - und es hätte vielleicht sogar noch mehr werden können. Denn immerhin waren die Piraten nicht einmal in diesen beiden Städten flächendeckend angetreten. In Münster standen sie in 18 von 33 Stimmbezirken auf dem Wahlzettel, in Aachen sogar nur in 8 von 32. Dort holten sie dann aber auch in jedem möglichen Bezirk über sechs Prozent. Unterm Strich haben die Piraten in den beiden Universitätsstädten im Vergleich zur Europawahl ein wenig zugelegt. Damals erhielten sie 1,7 Prozent (Aachen) und 1,1 Prozent (Münster), konnten jedoch jeweils in der gesamten Stadt gewählt werden.

Trotz allem bleibt die Partei nach dem Wahlsonntag auf dem Niveau einer Splitterpartei. Das verdeutlicht auch das Ergebnis aus Sachsen. Dort war die Piratenpartei im Rahmen der Landtagswahlen angetreten und konnte in Dresden 3,4 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen, landesweit kam sie auf 1,9 Prozent und verfehlte damit klar den Einzug ins sächsische Landesparlament.

Der sächsische Kandidat Michael Winkler sagte der dpa, für eine Partei, die vor einem Jahr nahezu unbekannt gewesen sei, könne sich das Ergebnis sehen lassen. Die Sachsen-Wahl sei ein "Wegbereiter für die Bundestagswahl". Wahlforscher halten einen Einzug in den Bundestag aber für unwahrscheinlich. Die 2006 gegründete Piratenpartei Deutschland hat derzeit rund 6800 Mitglieder.

Marco Langenfeld
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Er wohnt noch bei seinen Eltern und kennt Kommunalpolitik bislang nur aus Zeitung und Internet. Dennoch will der erste gewählte Abgeordnete der Piratenpartei Akzente im Münsteraner Stadtrat setzen.

Marco Langenfeld ist erst vor drei Monaten zur Piratenpartei gestoßen. Am Sonntag ist der 22-Jährige schon in den Stadtrat von Münster eingezogen. Der Kfz-Mechatroniker kann es am Tag darauf immer noch nicht ganz fassen und schüttelt lächelnd den Kopf. «Da ist mir schon ein bisschen mulmig.» Mit 1,55 Prozent der Wählerstimmen hat er einen Sitz im Stadtparlament geentert, wo keine Fünf-Prozent-Hürde mehr gilt. Ein Parteifreund hat es in Aachen mit 1,7 Prozent geschafft. Beide sind die bundesweit ersten gewählten Mandatsträger der Piratenpartei.

Der Münsteraner Stadt-Pirat stürzt sich jetzt in die Lokalpolitik. «Ich werde mich richtig einarbeiten», kündigt er an. Er will sich mit seiner Partei beraten und absprechen. Einer allein könne nicht so viel bewirken, meint der große, dunkelhaarige Mann - er hat sich über die Rechte des Stadtverordneten schon informiert. Kommunalpolitik kennt er bislang nur aus Zeitung und Internet. Ein Thema liegt dem frischgebackenen Parlamentarier besonders am Herzen: Er ist gegen die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, etwa am Bahnhof von Münster oder in Bussen.

Fünf Jahre Zeit

Die Themen der Piratenpartei kreisen um die Informationsgesellschaft. Unter anderem fordert sie bessere Kontrollrechte des Einzelnen in Bezug auf die Nutzung seiner Daten, mehr Transparenz in Politik und Verwaltung. Seit der Europawahl sei die Mitgliederzahl auf etwa 7000 gesprungen, berichtet der Bundesvorsitzende der Piratenpartei, Jens Seipenbusch, ein Physiker, der in einer EDV-Abteilung der Universität Münster arbeitet. Das Gesetz der Bundesregierung zur Bekämpfung von Kinderpornografie, das erstmals die Sperrung von Internet-Seiten vorsieht, hat den Zustrom verstärkt.

Im Herbst beginnt der Piratenvertreter in Münsters Stadtrat eine Ausbildung zum Kfz-Meister. Derzeit wohnt Marco Langenfeld bei seinen Eltern. Fürs Einarbeiten in die Lokalpolitik will er sich Unterlagen schicken lassen. «Ich weiß, dass es nicht einfach ist, habe aber fünf Jahre Zeit.» (Ulrike Hofsähs)

Sonntag, 30. August 2009

»Die Menschen werden wie Tiere behandelt«

Das NoBorder-Camp auf Lesbos wirft der griechischen
Interview: Christian Jakob, Lesbos (Griechenland)
Deeb Zag, 35, lebt als anerkannter Asylbewerber in Budapest und arbeitet dort beim Helsinki-Komittee für Flüchtlingshilfe. Er gehört zu den Organisatoren des diesjährigen antirassistischen NoBorder-Camps auf der griechischen Insel Lesbos, das jetzt zu Ende ging

Sie leben als palästinensischer Flüchtling in Ungarn. Nun kämpfen Sie auf der Insel Lesbos gegen die Internierung afrikanischer Flüchtlinge. Wieso in Griechenland?

Ich war selbst monatelang in einem Internierungslager an der EU-Außengrenze, nachdem ich 2006 versucht hatte, über die Ukraine nach Slowenien zu gelangen. Danach saß ich in Kiew auf der Straße. Genau das passiert auch den Flüchtlingen, die nach Griechenland kommen – nur daß die Bedingungen hier noch viel schlimmer sind.

Inwiefern?

Ich war Mitglied einer Delegation des NoBorder-Camps, die am Freitag das Lager Pagani auf Lesbos besucht hat. 1000 Menschen sind dort eingesperrt, für 300 ist es nur ausgelegt. Bis zu 150 Menschen werden in einem Raum festgehalten; sie teilen sich eine Toilette, eine Dusche, es gibt nicht genügend Betten für alle, es stinkt, es gibt Bakterien, Ungeziefer, Krankheiten.

Warum existiert dieses Lager überhaupt?

Es handelt sich um »Administrativhaft«, angeblich um die Neuankömmlinge zu registrieren. In Wahrheit ist das reine Schikane, die der Abschreckung dient. Oft bleiben die Menschen dort monatelang. Die Polizei räumt nur einmal in der Woche den Müll weg, das Essen wird durch Gitter gereicht. Sie bekommen keine Seife, keine Zahnpasta. Eine Frau verkauft im Gefängnis Seife, Wasser und Zigaretten – aber nur für die, die Geld haben. Die Menschen werden wie Tiere behandelt.

Wie haben Sie mit dem NoBorder-Camp versucht, gegen diese Zustände vorzugehen?

Wir sind hierher gekommen, um für die Rechte der Flüchtlinge zu kämpfen. Dafür war aber nötig, daß sich die die Flüchtlinge selber organisieren.

Hat das funktioniert?

Ja. Schon in der letzten Woche sind 150 von ihnen in Hungerstreik getreten, als wir das erste Mal in Pagani demonstriert haben. Ein Teil von ihnen wurde daraufhin entlassen. Am Samstag haben sie versucht, mit einem zweiten Hungerstreik die Behandlung eines erkrankten Häftlings durchzusetzen. Als der abtransportiert wurde, konnten sie ihre Zellen verlassen und sind in den Innenhof gegangen.

Was haben Sie getan?

Teilnehmer des Camps sind sofort zu dem Lager gefahren. Wir wollten der Polizei signalisieren: Tut den Leuten nichts und erfüllt ihre Forderungen.

Welche Forderungen waren das?

Sie wollten durchsetzen, daß alle Frauen mit Kindern und deren Männer sofort entlassen werden. Die Polizei hat schließlich angekündigt, in den nächsten Tagen 450 Insassen freizulassen, etwa 80 davon sofort. Am Tag davor hatte die UNHCR-Zentrale in Genf die sofortige Schließung von Pagani gefordert.

Warum wurde das Camp gerade auf Lesbos organisiert?

Lesbos ist eine der wichtigsten Durchgangsstationen für Flüchtlinge. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex ist hier relativ neu, ihre Aktivitäten sind nicht so perfektioniert wie in Osteuropa. Die Menschen kommen hierher, weil sie glauben, daß der Grenzübertritt leichter sei als in Malta oder Spanien.

Hatten Ihre Aktionen Erfolg?

Wir haben geschafft, daß Menschen freigekommen sind …

… die aber wohl ohnehin entlassen worden wären.

Schon. Aber wir haben Druck auf die Behörden ausgeübt. Die wissen jetzt, daß es der Öffentlichkeit nicht egal ist, was sie mit den Menschen machen. Es war auch ein Signal an die Menschen vor Ort: Auf eurer kleinen Insel läuft etwas falsch! Wir hoffen, daß auch sie künftig sagen: Wir wollen nicht mehr, daß Leute systematisch mißhandelt werden, die überhaupt nichts verbrochen haben und einfach nur auf der Suche nach einem besseren Leben hier durchreisen.

Ihr Protest richtet sich gegen die griechische Regierung, die wird aber von der EU unter Druck gesetzt. Sie soll Flüchtlinge von der Einreise abhalten und die durchgekommenen biometrisch erfassen.

Selbstverständlich sind die großen EU-Länder und Frontex mitverantwortlich, weil sie sich weigern, Flüchtlingen Schutz zu gewähren. Die lokalen Behörden sind aber Mittäter. Wenn Griechenland sagt, wir nehmen zur Registrierung Fingerbabdrücke ab – von mir aus. Dazu sollte aber niemand eingesperrt werden dürfen. Damit das aufhört, bin ich hergekommen.


Justizchef entläßt Staatsanwalt

Iran: Prüfung von angeblichen Häftlingsmißhandlungen angeordnet

Unter den Regierenden im Iran zeichnen sich wachsende Differenzen ab. Der neue Leiter der iranischen Justiz, Sadek Laridschani, entließ den bei der Opposi­tion berüchtigten Teheraner Staatsanwalt Said Mortasawi, wie die amtliche Nachrichtenagentur IRNA am Samstag abend meldete. Zugleich ordnete der Bruder von Parlamentspräsident Ali Laridschani eine Prüfung der Berichte über Mißhandlungen von inhaftierten Oppositionellen an. Der als Hardliner geltende Mortasawi hatte nach den Protesten gegen das offizielle Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12. Juni Anklage gegen Dutzende Demonstranten erhoben. Mehr als 100 von ihnen stehen seit dem 1. August in einem Verfahren vor Gericht, das von Kritikern als Schauprozeß verurteilt wird. Während seiner gesamten Amtszeit hat Mortasawi politische Aktivisten sowie regimekritische Journalisten verhaften lassen. Außerdem hat er die Schließung von mehr als 120 Zeitungen verfügt. Von »Reformern« wird er als »Schlächter der Presse« und »Folterer von Teheran« bezeichnet.

Justizchef Laridschani ernannte laut IRNA Abbas Dschafari Dowlatabadi zum neuen Teheraner Staatsanwalt. Zugleich wurde klargestellt, daß die angelaufenen Prozesse gegen Oppositionelle weitergehen würden. Dennoch werteten Beobachter die Entlassung Mortasawis als Hinweis auf einen gemäßigteren Kurs des neuen Justizchefs. Dafür spricht auch, daß Sadek Laridschani ein dreiköpfiges Gremium zur Prüfung der Foltervorwürfe im Gefängnis Kahrisak ernannte.

Der unterlegene Präsidentschaftskandidat Mahdi Karrubi hat das inzwischen geschlossene Gefängnis wiederholt mit der Haftanstalt Abu Ghraib in Bagdad verglichen, wo US-Soldaten irakische Gefangene demütigten und folterten. Dazu erklärte Parlamentspräsident Ali Laridschani, bei einer parlamentarischen Untersuchung hätten sich die Vorwürfe als haltlos erwiesen. Karrubi hielt dem jetzt entgegen, eine sorgfältige Prüfung hätte niemals in so kurzer Zeit zu einem so eindeutigen Ergebnis kommen können.

Beobachter konstatieren, daß die Brüder Laridschani zunehmend auf Konfrontationskurs zu Präsident Mahmud Ahmadinedschad zu gehen scheinen. Dazu gehöre auch, daß Justizchef Sadek Laridschani den von Ahmadinedschad entlassenen Geheimdienstminister Gholem Mohseni Edschehi zum Generalstaatsanwalt ernannte.


Chamenei vollzieht Wende

Irans oberster geistlicher Führer Chamenei gesteht plötzlich ein, dass er nicht beweisen kann, dass das Ausland die Proteste gesteuert habe und will die die brutalen Basidschi-Milizen bestrafen. VON B. NIRUMAND

Was die Kehrtwende für Konsequenzen haben wird ist ungewiss.

Irans Revolutionsführer Ali Chamenei hat am Mittwoch bei einem Treffen mit Studenten in Teheran eine Kehrtwende vollzogen, die nicht nur im Iran, sondern auch im Ausland mit Erstaunen registriert wurde. Die Proteste der vergangenen Wochen gegen die umstrittene Präsidentenwahl von 12. Juni seien nicht vom Ausland gesteuert gewesen und die Führer der Opposition hätten nicht mit ausländischen Geheimdiensten zusammengearbeitet. Dafür habe er keinerlei Beweise, sagte Chamenei.

Diese neue Position des Revolutionsführers ist umso erstaunlicher, als er es selbst war, der in seinen bisherigen Reden die Wahlen als völlig korrekt und die Proteste danach als Verschwörung des Auslands, insbesondere des britischen und amerikanischen Geheimdienstes, bezeichnet hatte. Zudem sind die derzeit laufenden Schauprozesse einzig darauf ausgerichtet, den Nachweis zu erbringen, dass das Ausland bei den Unruhen die Hand mit Spiel hatte.

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Sämtliche Geständnisse, die offensichtlich durch Folter erzwungen wurden, bekunden eine enge Zusammenarbeit der Hauptakteure bei den Unruhen mit ausländischen Geheimdiensten. Prominente Politiker, die Jahrzehnt lang den Staat gelenkt haben, treten im Gericht auf, und bezichtigen sich selbst des Verrats nationaler Interesse. Die gesamte rechte Presse ruft verstärkt nach harter Bestrafung der angeblichen Kollaborateure und fragt, warum die Oppositionsführer Mir Hossein Mussavi, Mehdi Karrubi und Mohammad Chatami nicht längst festgenommen worden seien.

Und nun diese Position Chameneis, die diese gesamte koordinierte Kampagne in Frage stellt. Damit nicht genug. Der Revolutionsführer wagte noch einen großen Schritt nach vorn. Er forderte sogar die harte Bestrafung der Basidschi-Milizen und Ordnungskräfte, die Demonstranten brutal behandelt hätten.

Er schätze die Arbeit der Milizen bei den Protesten, sagte Chamenei. Das bedeute aber nicht, dass "bestimmte Verbrechen" nicht untersucht und geahndet würden. Dabei verwies er ausdrücklich auf die Überfälle auf Studentenheime und auf die Vorgänge in dem berüchtigten Kahrisak-Gefängnis in Teheran. Auch dürfe man die wegen der Proteste Angeklagten nicht aufgrund von Gerüchten und Vermutungen aburteilen. "Die Justiz kann Urteile ausschließlich auf der Basis von soliden Beweisen sprechen", erklärte der Revolutionsführer.

Für die unerwartete Kehrtwende gibt es zwei Erklärungen. Zunächst ist es anzunehmen, dass auch Chamenei sich darüber bewusst ist, wie sehr die Nachrichten über Folterungen und Morde in den Gefängnissen, die Schauprozesse, bei denen prominente Politiker vom Folter gezeichnet Geständnisse ablegen und das brutale Vorgehen der Polizei und Milizen gegen Demonstranten im In- und Ausland dem Ansehen des Regimes geschadet haben. Selbst die treuesten Anhänger des Revolutionsführers und des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad werden sich fragen, wie ein so menschenverachtenden Gebaren gegen das eigene Volk mit dem Anspruch des Regimes auf den Islam, auf Moral und Humanität in Einklang zu bringen sei.

Zweitens scheint Chamenei endlich eingesehen zu haben, dass er mit der uneingeschränkten Parteinahme für Ahmadinedschad seine eigene Macht und Position als über alle Parteien erhabene Instanz zunehmend untergräbt. Er verliert die Unterstützung des Klerus und eines großen Teil des staatlichen Establishments. Auch Millionen Gläubige, die ihn bislang zugejubelt haben, werden sich von ihm abwenden.

Dabei ist der Weg, den Ahmadinedschad und seine militärischen Anhänger bei den Revolutionswächtern seit geraumer Zeit eingeschlagen haben, ohnehin nicht zu Chameneis Gunsten. Denn Ahmadinedschad strebt einen islamischen Staat ohne den Klerus an, was bedeutet, dass er sich eines Tages auch gegen Chamenei stellen wird. Was die nun erfolgte Kehrtwende für Konsequenzen haben wird, werden die nächsten Wochen zeigen.




Klage gegen Israels Ex-Regierungschef Olmert

Vor knapp einem Jahr trat Olmert wegen Korruptionsvorwürfen als Vorsitzender der regierenden Kadima-Partei zurück und löste damit Neuwahlen aus. In drei Fällen muss sich der frühere Ministerpräsident nun vor Gericht verantworten.

Israels Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert ist am Sonntag von der Staatsanwaltschaft in Jerusalem wegen Korruption in drei Fällen angeklagt worden. Der 63 Jahre alte Ex-Vorsitzende der Regierungspartei Kadima muss sich demnach unter anderem wegen der illegalen Annahme von Spendengeldern, der doppelten Abrechnung von Reisekosten sowie der Bevorzugung von Geschäftspartnern verantworten. Olmert war von Januar 2006 bis zum 31. März dieses Jahres Ministerpräsident in Israel. Im September vergangenen Jahres hatte er wegen der Korruptionsvorwürfe und der drohende Anklage sein Amt als Parteivorsitzender zur Verfügung stellen müssen. Der Fall führte schließlich auch zu Neuwahlen in Israel, bei denen im Februar dieses Jahres rechte, siedlerfreundliche und streng religiöse Parteien eine Mehrheit der Sitze gewannen.
Illegale Spenden und falsche Spesenabrechnung
Die drei mutmaßlichen Korruptionsfälle gehen nach Angaben der Anklage auf Olmerts Amtszeit als Bürgermeister von Jerusalem (1993 bis 2003) sowie als Industrie- und Handelsminister (2003 bis 2006) zurück. Die Staatsanwaltschaft wirft Olmert vor, in der sogenannten Briefumschlag-Affäre über einen Zeitraum von 15 Jahren illegal 150.000 US-Dollar (105.000 Euro) vom US-Unternehmer und Spendensammler Morris Mosche Talansky angenommen zu haben.

In der Reisebüro-Affäre soll Olmert 85.000 Dollar (66.000 Euro) Gewinn gemacht haben, indem er während seiner Zeit als Industrie- und Handelsminister Reisen mehrfach beantragt und die Spesen dann sowohl bei staatlichen Stellen als auch öffentlichen Einrichtungen wie beispielsweise der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem abgerechnet haben soll. In der Investmentcenter-Affäre soll Olmert eine Firma eines Geschäftspartners bevorzugt haben.

Sonntag, 23. August 2009

Micheletti Diktatur lässt die Todesschwadron von 1980 wieder aufleben


Die Micheletti Diktatur in Honduras, in der auch Todesschwadron-Mitglieder der "Battalione 3-16" [1] [2], Billy Joya [1] [2], Nelson Willy Mejía Mejía [1] [2] und Napoleón Nassar Herrera [1] [2] etwas zu sagen haben, haben seit dem Staatsstreich am 28. Juni 2009 Menschenrechte ausgehebelt, mindestens drei Menschen “verschwinden lassen”, fast zehn Personen außergerichtlich hinrichten lassen und Hunderte Menschen inhaftiert [1] (es) | [2] (en) (es) | [3] (en) (es). Trotz allem haben Proteste nie zuvor gesehenen Ausmaßes stattgefunden, die am 11. August 2009 mit der Ankunft von über 70.000 (es) Demonstranten und Tausender anderer in San Pedro Sula gipfelten. Koordiniert wurden diese Massenproteste von der Front gegen den Staatsstreich. Im 19. Kommuniqué der Front steht zu lesen: sollte das Micheletti Regime nicht in den nächsten Tagen zurücktreten und Zelayas Präsidentschaft wiederhergestellt sein, werde die Front die Aktionen des Zivilen Ungehorsams ausweiten (es), die die Wirtschaft bereits gelähmt haben und nationale und internationale Strafprozesse gegen die Verantwortlichen der außergerichtlichen Hinrichtungen und anderer Menschrechtsverstöße beantragen.

Die westliche Presse hat mit wenigen Ausnahmen kaum über die Beteiligung der Todesschwadron-Mitglieder in Michelettis De Facto Regierung berichtet. Auch nicht über die “Verschwindungen”. Sie haben die Zahlen der außergerichtlichen Hinrichtungen untertrieben und die fragwürdigen Zusammenhänge mit der Todesschwadron von 1980 fast vollständig ausgeblendet. In der Zelaya Regierung arbeiteten ebenso Todesschwadron-Mitglieder (es), gegen die von CODEH und anderen honduranischen Menschenrechtsorganisationen Einspruch erhoben wurde. Der von Obama, Clinton und Lula "Arias" Plan erwähnt absichtlich nicht, ob Todesschwadron-Mitglieder aus Koalitionsregierungen ausgeschlossen werden sollen, oder nicht.

FOTOS: 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6
UNABHÄNGIGE MEDIEN: IMC Honduras | Front gegen den Staatsstreich | Revistazo | Honduras Resists (en)+(es)
RADIO: Radio Liberada mirrors: [1] - [2] - [3] | Radio Es Lo Demenos | Association of Radios and Participating Programs of El Salvador
MENSCHENRECHTS-NGOs: CIPRODEH | CODEH | COFADEH | COMUN/Honduras Laboral
UNTERSTÜTZERGRUPPEN: Quixote Center | SOA Watch | Via Campesina | Honduras Resists! (support group)
MENSCHENRECHTSVERSTÖSSE, eine Sammlung: COFADEH, 1. Juli (es) | FIDHviele andere, 6. August (en) (es) | Quixote Center (en), 7. August (es)

Montag, 17. August 2009

Männer, die im Irak als schwul gelten, werden mehr und mehr zum Freiwild

Der jetzt von Human Rights Watch vorgestellte Bericht "They Want Us Exterminated" ("Sie wollen uns ausrotten") zeichnet auf 67 Seiten die gegenwärtige Lage für sexuelle Minderheiten im Land. "Dieser Bericht dokumentiert die Gewaltorgie gegen Männer im Irak, die für schwul gehalten werden oder sich in den Augen der Mörder einfach nicht männlich genug verhalten", erklärte Scott Long, der für den Themenbereich schwul-lesbische Rechte bei HRW verantwortlich ist.

Im Irak gibt es immer wieder Medienberichte über Exekutionen von Schwulen durch islamistische Milizen. Prediger wiegeln die Gläubigen dabei immer wieder zum Hass auf Homosexuelle und andere "Verdorbene" auf. So erklärte der mächtige Schiiten-Führer und Politiker Muktada al-Sadr, dass er Homosexualität in seinem Land "auslösche" wolle.


Schwule zu Tode gefoltert

Es sei unmöglich, die genaue Zahl der Todesopfer zu bestimmen. Es muss sich aber mindestens um mehrere hundert Exekutionen handeln, erklärte der HRW. In dem Bericht heißt es, dass Bagdad am härtesten von den Übergriffen auf Schwule betroffen sei. Viele Gerichtsmediziner sprechen auch von grausamen Foltermethoden. So hätten mehrere Ärzte gegenüber HRW bestätigt, dass Schwule an den Folgen des "iranischen Kaugummis" zu Tode gequält worden seien. Hier wird der Anus der Opfer zugeklebt und ihnen dann ein Getränk eingeflößt, das Durchfall erzeugt. Medien im Nahen Osten hatten bereits über diese Art der Folter berichtet.

Erschwerend für schwule Iraker komme hinzu, dass es für viele nahezu unmöglich ist, in ein sicheres Land zu fliehen, da fast alle Nachbarn Homosexualität verbieten. So werden etwa Schwule in Syrien ebenfalls wegen ihrer Homosexualität verfolgt und eingesperrt. Eine Ausweisung in den Irak mit dem Hinweis auf die Sexualität des Flüchtlings komme demnach meist einem Todesurteil gleich.

HRW appelliert an die US-Truppen im Irak, sich für ein Ende der Verfolgung von Schwulen einzusetzen. Ferner müssten andere Länder außerhalb der Region helfen, schwule Flüchtlinge aufzunehmen.

Bis 2001 war Homosexualität im Irak de facto legal, dann erließ der damalige Diktator Saddam Hussein ein Verbot. Bei Wiederholungs-"Tätern" war die Todesstrafe möglich. Derzeit gibt es zwar kein ausdrückliches Homo-Verbot, allerdings können Schwule offiziell wegen "unsittlichem Verhalten" oder "Verbreitung von Krankheiten" belangt werden.


Maneo-Umfrage gezielt manipuliert?

Wie wahr sind die Ergebnisse der Maneo-Umfrage 2007/2008?

Wurden die Fragebögen des Berliner Überfalltelefons zu antischwuler Gewalt mehrfach mit falschen Angaben ausgefüllt, um Stimmung gegen Ausländer zu machen? Dafür sprechen Stimmen aus dem "islamkritischen" Umfeld.

Von Norbert Blech

Homophobe Gewalt in Berlin nimmt zu, Muslime sind Haupttäter - Schlagzeilen wie diese liest man andauernd in den Zeitungen, man hört sie in Szenemedien und sie werden auch häufig im Bekanntenkreis verbreitet, von zumeist Unbetroffenen. Einwände von Kritikern, dass etwa die Zahlen des schwulen Überfalltelefons Maneo wenig Aussagekraft besitzen, konnten sich gegen diese Mischung aus Angst und Vorurteil selten durchsetzen. Doch jetzt sind neue Zweifel aufgetaucht, speziell an der großen, zweiten Maneo-Umfrage, die im letzten Jahr vor allem online ausgeführt wurde und auf ein breites Medienecho stieß.

Von gezielten Manipulationen spricht ein anonymer "Frank", der sich bei der Queer.de-Redaktion gemeldet hat und sich als "Aussteiger" bezeichnet. Aussteiger aus einem Subbereich der schwulen Szene, der sich vom Islam bedroht fühlt und Muslime generell als Feindbild bekämpft. Frank schreibt in einer anonymen eMail, er habe den Fragebogen "bestimmt 10 Mal mit unterschiedlichen Angaben ausgefüllt" und Türken als Täter angegeben. Es sei ihm darum gegangen, das Szenario einer "realen Bedrohung" aufzubauen. Er kenne "mindestens fünf" Bekannte, die ähnliches getan hätten. Auch habe er dem Überfalltelefon telefonisch zwei erfundene Übergriffe gemeldet: "Das war unglaublich leicht, die sind so unglaublich dumm und sind einfach zu instrumentalisieren" - da auf diesem Weg jährlich nur rund 200 Fälle homophober Gewalt gemeldet werden, haben diese Anrufe noch größere Auswirkungen auf die Statistik als bei der Online-Umfrage. Mittlerweile schäme er sich für den "eigenen Rassismus", den er auch in zahlreichen Forenbeiträgen auf den unterschiedlichsten Webseiten, darunter queer.de, verbreitet hätte. Einen Beweis für die Manipulation der Maneo-Studie liefert die anonyme Quelle nicht, Rückfragen sind nicht möglich.

"Islamkritik hoffähig machen"

Dass die Zahlen von Maneo leicht für falsche Zwecke genutzt werden können, ist allerdings nicht nur ihm aufgefallen. Im Forum der Webseite "Grüne Pest", einem Sammelbecken für selbsternannte Islamkritiker und Rechtsradikale, forderte ein User mit dem Nick "G.Wilders" zur Teilnahme und Manipulation der Maneo-Umfrage auf: "keine sorge, eure angaben müßen nicht stimmen und schul7bi braucht ihr auch nichts zu sein - jedoch das richtige ankreuzen: ihr wißt schon, von wen geht gewalt aus... die angaben überalsse ich eurer phantasie". Auch ein Abschlusskommentar solle abgegeben werden, der auf die erfundenen Täter und ihren erfundenen Migrationshintergrund eingeht, so der User in dem belebten Unterforum "Homosexualität und Islam: Verfolgung, Folter und Diskriminierung" (in dem auch dazu aufgerufen wird, sich an den Leser-Diskussionen auf queer.de zu beteiligen).

Die Foren-User sollten teilnehmen, da die Studie "bundesweit veröffentlicht wird und in allen überregionalen zeitungen erwähnt wird und ausgewertet wird". Ihm sei wichtig, "gerade in der schwulen und lesben gemeinde islamkritik hoffähig zu machen", schreibt er weiter. "sowie ich gehört habe, liegt für berlin schon ein erstes zwischenergebnis vor, dass 50% der übergriffe von menschen mit türkischen/arabischen background verübt werden. wird natürlich ein schock für schwule und gutmenschen sein." Nur: als der User seinen Aufruf im Februar 2008 postete, war die Umfrage schon einige Tage beendet; ein interessierter Forenteilnehmer konnte sich nicht mehr beteiligen. Allerdings: "ich habe schon im dez dran teilgenommen", teilt "G.Wilders" im Forum mit, und fügt ein Icon an, das gehässiges Grinsen ausdrückt.

"Anstieg" von 16 auf 40 Prozent

Die Auswertung der zweiten Maneo-Umfrage benennt in einer Kurzauflistung keine Zurückweisung von "Online-Fällen" aufgrund von Zweifeln. 23.170 Umfragen wurden online ausgefüllt, 5.901 seien "unvollständig" gewesen und nicht in die Bewertung eingeflossen, der Rest sei "vollständig abgeschlossen"; dazu kamen 208 ausgefüllte Print-Fragebögen. 17.477 Fragebögen seien ausgewertet worden, was darauf schließen lässt, dass keine Fragebögen aus anderen Gründen nicht in die Statistik eingingen. Später heißt es allerdings widersprüchlich: "Einige wenige Fälle mussten ausgeschlossen werden, weil sie auf einen homophoben, rechtsradikalen oder psychisch verwirrten Hintergrund schließen ließen und unsinnige Angaben enthielten." Rund 7.100 Personen hätten von Vorfällen berichtet.

Zur vermuteten Herkunft der Täter bei diesen Fällen, die neben körperlichen Übergriffen auch Beleidigungen und Diebstahl umfassen, macht die Studie folgende Aussage: "Von denen, die sich in ihrer Einschätzung sicher sind, nehmen 16.9 Prozent einen rechtsradikalen Hintergrund der Täter an. 60.4 Prozent der in Deutschland wohnenden Befragten denken, dass es Deutsche waren, folglich vermuten 39.6 Prozent eine nichtdeutsche Herkunft bzw. einen Migrationshintergrund bei den Tätern." Die Auwertung ergab hier einen großen Unterschied zum Vorjahr: "Die im Bericht zur Vorjahresuntersuchung geäußerte Befürchtung, dass der dort in einer offenen Frage erhaltene Anteil nichtdeutscher Täter mit 16 Prozent der Fälle unterschätzt sein dürfte (vgl. Lippl 2007), kann damit als bestätigt angesehen werden."

Es ist ein deutlicher Unterschied, der durch eine andere Frageweise und vermutlich falsche Angaben zustande gekommen ist, aber schnell als Anstieg missverstanden wird; in einer Studie, die von den Machern selbst als nicht repräsentativ bezeichnet wird. Trotzdem haben diese unsicheren Prozentzahlen, brutale Einzelfälle, beängstigter Szenetratsch, Skandalisierung und Medienberichterstattung dazu geführt, dass der Eindruck entstanden ist, homophobe Gewalt würde zunehmen, und das vor allem in der Hauptstadt (wo es freilich, anders als in dem meisten Städten, ein Überfalltelefon mit einem dauernd Zahlen und Forderungen vorlegenden Hauptamtler gibt).

"Gefühlte Zunahme" von Übergriffen

Und der Eindruck, dass diese Gewalt vor allem von jungen Migranten ausgehe. Dafür gibt es kein belastbares Zahlenmaterial, und selbst die unsicheren Statistiken von Maneo sprechen dagegen. Aber die Berichterstattung ist anders. Ein Beispiel aus der "Süddeutschen" aus diesem Frühling: "Ein pauschales Täterprofil - männlich, jung, Migrationshintergrund - lehnt sie (Kathrin Doumler vom LSVD, Anm. d. Red.) ab. Auch wenn gerade junge Männer mit einem arabisch-patriarchalisch ausgeprägten Wertesystem häufig Probleme mit Homosexualität haben". Maneo-Leiter Bastian Finke sagt in dem Artikel, es gebe eine "gefühlte Zunahme" von Übergriffen.

Wie einige andere in der Berliner Szene hatte er in den letzten Jahren verbal aufgerüstet und etwa von "No-Show-Areas" für Schwule in der Hauptstadt gesprochen. Ein anderes Mal hatte er gewarnt, es solle keine "falsch verstandene Rücksicht auf scheinbar folkloristische Religionselemente" geben. Zu den Ergebnissen der ersten Umfrage hatte Finke in einer Pressemitteilung geschrieben: "Viele haben bisher die Augen vor einer bestimmten Tätergruppe verschlossen. Ohne, dass wir danach gefragt haben, haben uns 16 Prozent von Tätern nichtdeutscher Herkunft berichtet. Hätten wir nach dieser Tätergruppe gefragt, hätten wir noch mehr Nennungen gehabt." Die Geister, die er rief, hat er in der zweiten Umfrage offenbar bekommen.

Samstag, 15. August 2009

Gazas "Emir" Mussa sprengt sich in die Luft

Hamas-Polizisten haben sich mit dem fundamentalistischen Prediger Mussa und seinen Anhängern, die ihnen eine zu lasche Auslegung islamischer Gesetze vorwarf, heftige Gefechte geliefert. Mehr als zwanzig Menschen starben. Der selbsternannte "Emir" soll sich selbst getötet haben.

Von Clemens Verenkotte, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv

Straßenkontrollpunkt der Hamas in Gaza-Stadt (Foto: AP)

Nach den Kämpfen führte die Hamas-Polizei in ganz Gaza-Stadt Straßenkontrollen durch.
Intensive Straßenkontrollen beherrschen den südlichen Gaza-Streifen am Tag nach den bislang schwersten innerpalästinesischen Kämpfen seit der Machtübernahme der Hamas vor zwei Jahren. Polizisten und Sicherheitskräfte errichteten Straßensperren in Rafah und auf den Zufahrtsstraßen. Autofahrer werden angehalten und müssen ihre Kofferräume öffnen. LKW-Ladungen werden misstrauisch überprüft.

Nach Angaben palästinensischer Rettungssanitäter wurden im Verlauf der heftigen Feuergefechte zwischen Hamas-Sicherheitskräften und rund 100 Bewaffneten der islamischen Fundamentalistengruppe Dschund Ansar Allah mehr als 20 Menschen. Mehr als 150 Menschen wurden verletzt. Die Kämpfe hatten gestern Nachmittag nach dem Freitagsgebet begonnen.

Provokation beim Freitagsgebet

Heute morgen habe sich der Anführer der Gruppe, Abdel Latif Mussa, zusammen mit einem Gefährten mit einem Sprengstoffgürtel getötet, sagte der Sprecher des Hamas-Innenministeriums, Ihab Hussein: "Der Einsatz in Rafah ist beendet. Der Tod von Abdel Latif Mussa und seinem Gehilfen ist bestätigt worden. Sie haben sich in die Luft gesprengt, nachdem sie den Vermittler, der zu ihnen geschickt worden war, getötet hatten."

Jetzt führten die Sicherheitskräfte Kontrollen durch. "Wir fordern jeden, der mit diesem Mann in Verbindung steht, dazu auf, sich mit seinen Waffen zu stellen", erklärte der Sprecher.

Ausgelöst wurden die heftigen Feuergefechte durch die Ankündigung des Mussa während des Freitagpredigt in einer Moschee in Rafah: Umrahmt von schwerbewaffneten und vermummten Kämpfern rief der Imam das "islamische Emirat" aus. Er warf der Hamas vor, die Gesetze des Islam nicht strikt genug in allen Lebensbereichen durchzusetzen.

Audio: Hamas-Einsatz gegen Fundamentalisten
Clemens Verenkotte, ARD-Hörfunkstudio Tel Aviv

Prompte Reaktion der Hamas-Kämpfer

Hamas-Polizeikräfte umstellten daraufhin umgehend die Moschee. Bei den Feuergefechten wurden neben Handfeuerwaffen auch Mörser eingesetzt. Unter den Toten ist auch der Kommandeur des militärischen Arms der Hamas für den Süden des Gazastreifens, den Israel für die Verschleppung des Soldaten Gilad Shalit vor drei Jahren verantwortlich macht.

Mussas Gruppe, die dem Terrornetzwerk Al Kaida nahestehen soll, soll in den vergangenen Wochen und Monaten gewaltsam gegen Internet-Cafes und Restaurants vorgegangen sein, um ihre Vorstellung von islamischem Recht durchzusetzen.

Fatah angeblich mitverantwortlich

Die Hamas kündigte an, sie werde es nicht zulassen, dass der Gazastreifen erneut in ein "Sicherheitschaos" versinke. Zugleich machte die Hamas die konkurrierende Fatah-Bewegung für die jüngsten Feuergefechte mitverantwortlich. Deren Sicherheitskräfte hätten die Splittergruppierung angestachelt.

Krümmel durfte trotz Sicherheitsbedenken ans Netz

Zwei Jahre war das Atomkraftwerk Krümmel bei Hamburg nicht in Betrieb. Dann durfte es im Juni ans Netz – obwohl es Sicherheitsbedenken bei den zuständigen Behörden gab. Das Resultat ist bekannt: Es kam zum nächsten Zwischenfall, Krümmel musste wieder abgeschaltet werden.

AKW Krümmel: Ein Gutachten wies auf große Mängel hin

Das Kernkraftwerk Krümmel durfte im Juni dieses Jahres nach zweijähriger Pause nach einem Bericht des „Spiegels“ trotz Sicherheitsbedenken wieder ans Netz. Das Hamburger Nachrichtenmagazin beruft sich in seiner Vorabmeldung vom Samstag auf vertrauliche Unterlagen und Gutachten. Im für die Atomaufsicht zuständigen Kieler Sozialministerium war am Samstag zunächst niemand für eine Stellungnahme erreichbar.

Nach dem Trafo-Brand am 28. Juni 2007 hatte das für die Atomaufsicht zuständige Sozialministerium Experten des Öko-Instituts beauftragt, die Aufarbeitung des Ereignisses durch den Betreiber Vattenfall zu bewerten. Diese monierten dem Bericht zufolge eine generell mangelhafte Lernbereitschaft beim Kraftwerkspersonal.

Vor allem in Bereich „Organisation und Kommunikation“ gebe es gravierende Defizite. Insgesamt müsse man davon ausgehen, „dass bisher der Erfahrungsrückfluss und die Erfahrungsauswertung im Kernkraftwerk Krümmel unzureichend gepflegt“ wurden, berichtet das Magazin und zitiert: „Dies kann maßgeblichen Einfluss auf die Sicherheitslage haben.“

Die von Vattenfall nach dem Brand in einem „Maßnahmenpaket“ vorgeschlagenen Änderungen im Bereich der „Organisation und Kommunikation“ seien, „gemessen an den vorliegenden Erkenntnissen, unvollständig“. Die Gutachter empfahlen demnach „ein funktionsfähiges Sicherheitsmanagementsystem“ aufzubauen. Der Betreiber solle der Atomaufsicht umgehend ein Konzept für dessen „zeitnahe Implementierung“ vorlegen. Noch vor dem Wiederanfahren der Anlage müsse „belastbar gezeigt werden, dass der Aufbau“ eines Sicherheitsmanagementsystems „angegangen und weiterverfolgt wird“.

Atomkraftwerke in Deutschland

Ein wichtiger Baustein eines solchen Systems sei die korrekte Benutzung des Betriebshandbuchs. Im Gutachten des Öko-Instituts aus dem Oktober 2007 heißt es demnach: „Wir halten es für erforderlich, dass klar herausgearbeitet wird, in welchen Situationen und ab welchem Zeitpunkt der zwingende Abgleich der Planungen und Handlungen mit dem Betriebshandbuch (BHB) erforderlich ist.“ Denn der Blick ins Handbuch, das hatte das Kommunikationschaos in Krümmel während des Trafo-Brands gezeigt, gelte in Krümmel offenbar nur als unverbindliche Empfehlung, schreibt der „Spiegel“ weiter.

In ihrer Stellungnahme zum Stand der Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen von Ende Mai 2009 monieren die Gutachter: „Die vom Kernkraftwerk Krümmel vorgeschlagene Anweisung ist unklar. Insbesondere fehlt eine hinreichend klare und abprüfbare Definition, wann direkt Gebrauch vom BHB zu machen ist.“ Zum Thema „Anfahrrelevanz“ merken die Gutachter an: „Kann voraussichtlich vor Wiederanfahren nicht geklärt werden.“

Am 19. Juni ging das Kernkraftwerk Krümmel dennoch wieder ans Netz. Nach mehreren Problemen wurde der Reaktor schließlich am 4. Juli wegen einer Störung in einem der beiden Maschinentransformatoren per Schnellabschaltung vom Netz genommen und ist bis heute abgeschaltet.

Rechnungshof prangert Immobilienfilz bei SPD an

Das Bauministerium von Wolfgang Tiefensee (SPD) und die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung sind offenbar in eine Immobilienaffäre verstrickt. Der Bundesrechnungshof kritisiert, dass die Stiftung bei einem Neubau "bevorzugt behandelt" wurde. Der Bau sei für die Steuerzahler zu teuer geworden.

Wolfgang Tiefensee (SPD)

Bei dem Vorgang, über den das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" berichtete, geht es um das neue Konferenz- und Verwaltungsgebäude der Friedrich-Ebert-Stiftung im Botschaftsviertel in Berlin. Es wurde mit 19 Millionen Euro aus Steuern finanziert und ist nach Ansicht der Rechnungsprüfer zu teuer gebaut worden. Federführend bei der Prüfung und Genehmigung des Stiftungsgebäudes war zwar das CDU-geführte Bundesinnenministerium. Im Visier der Prüfer steht dennoch das beteiligte Bauministerium.

Laut Rechnungshof setzte die Ebert-Stiftung bei dem Neubau Standards durch, die über denen von Bundesbehörden wie dem Auswärtigen Amt liegen. In einer ersten Prüfungsphase hätten seinerzeit alle beteiligten Bundesdienststellen festgestellt, dass der beantragte Bau unwirtschaftlich sei. Trotzdem habe die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) ihre Wünsche mit Duldung des Bauministeriums (BMVBS) weitgehend umsetzen können, so der Rechnungshof.

"Das BMVBS hat dieses baufachlich ermittelte Prüfergebnis ... nicht zum Anlass genommen, entweder eine wirtschaftliche Planung von der FES zu verlangen oder das beantragte Bauvorhaben abzulehnen", heißt es in dem Prüfbericht des Rechnungshofs. Es stelle sich die Frage, "inwieweit das BMVBS noch die notwendige Distanz zum Antragsteller gewahrt hat". Und: "Mit der Genehmigung des zuvor selbst als unwirtschaftlich bewerteten Bauvorhabens hat das BMVBS den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in hohem Maße widersprochen."Schon bei der Auswahl des Grundstücks für das Gebäude ist es laut dem Prüfbericht zu Unregelmäßigkeiten gekommen. Demnach unterließ es die Stiftung, "bei der Auswahl unter den für das Bauvorhaben infrage kommenden Liegenschaften hinreichende Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen anzustellen". Das Bauministerium habe der Ebert-Stiftung einen "Freibrief" ausgestellt. Sowohl das Ministerium als auch die FES bestreiten die Vorwürfe. Nach Informationen des SPIEGEL beschäftigte sich in dem Ministerium unter anderem der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich Kasparick (SPD) mit dem Vorhaben. Er war in den neunziger Jahren Leiter des Büros der FES in Sachsen-Anhalt. Bauminister Tiefensee ist Mitglied des Kuratoriums der Stiftung.

Neonazi tritt für „Pro Köln“ an

Von Detlef Schmalenberg

Ein Kandidat für die Kommunalwahl bekennt sich offen zu seiner rechtsextremen Gesinnung und tritt in Klettenberg für "pro Köln" an. Deren Chef Markus Beisicht will sich an den Mann so gut wie gar nicht erinnern können und glaubt, Emmerich sei in die Partei eingeschleust worden.

Der Neonazi René Emmerich auf einer Pro-Köln-Veranstaltung ...
René Emmerich
... gegen den geplanten Neubau der Ehrenfelder Moschee.

Köln - Er behauptet, ihn kaum zu kennen. Er sei ein unwichtiger Mitläufer gewesen und in keinerlei Funktion für die Partei. Wenn die Rede auf René Emmerich kommt, macht sein ehemaliger Parteichef Markus Beisicht auf ahnungslos. Jetzt jedoch kommt heraus: Die rechtsextreme Partei „Pro Köln“, stets bedacht, den Eindruck zu erwecken, zur bürgerlichen Mitte zu gehören, hat den Neo-Nazi Emmerich zur Kommunalwahl in Köln als Kandidaten für den Stadtteil Klettenberg aufgestellt - und ihn auch nicht abgesetzt, nachdem er aus der Partei ausgetreten ist.

NPD & Co. häufiger Gast auf "Pro"-Demos

Dass sie die Realität abstrus verdrehen, haben die Politdarsteller der Pro-Bewegung, die europaweit mit ultrarechten Parteien und Organisationen kooperieren, schon häufiger unter Beweis gestellt. Auch bei der Suche nach Mitstreitern waren sie in der Vergangenheit nur wenig zimperlich. Politische Irrlichter waren ebenso unter den Unterstützern wie Rechtsextremisten. Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ beispielsweise haben gezeigt, dass bekannte Neo-Nazis und NPD-Kader immer wieder auf Demonstrationen von „Pro Köln“ und deren politischem Vorgänger „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ zu sehen waren. Die Geschichte um den Neonazi Emmerich ist ein weiteres Beispiel für die krude Personalauswahl der Kölner Rechtsextremen. Ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die Pro-Verantwortlichen sich die Realität zurecht biegen.

Die Geschichte beginnt am 22. Juni 2009. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet, dass Emmerich die Partei, die seit Jahren vom nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beobachtet wird, verlassen hat. In einem Brief an den Pro-NRW-Vorstand, in dem der 26-Jährige seinen Austritt begründet, war von „offensichtlichen Lügen und Luftschlössern aus eurer Propaganda-Mottenkiste“ die Rede. Der Ex-Funktionär bezog sich auf die klägliche Kundgebung vom 9. Mai zur „Anti-Islamisierung“. Die Veranstaltung mit 150 Anhängern, auf der gegen den Bau einer Moschee im Kölner Stadtteil Ehrenfeld protestiert wurde, wollten die Pro-Verantwortlichen vollmundig zum „phänomenalen Erfolg“ und zur „historischen Stunde“ für ihre Partei mit 1.000 Teilnehmern umdichten.

Erst mit "Pro Köln", nun mit dem "Hitler von Köln"

Insider Emmerich hingegen sprach von eine „Blamage“ sowie von „Erfolg- und Hilflosigkeit“: „Ständig werden völlig absurde Teilnehmerzahlen und sonstige Erfolge von euch herbeigelogen“, so der „Abtrünnige“, der sich anschließend der rechtsextremistischen Kameradschaft um den Kölner Neonazi Axel Reitz anschloss. Der 25-jährige Rassist und Hitler-Verehrer Reitz war führender Funktionär des mittlerweile aufgelösten „Kampfbund Deutscher Sozialisten“ (KDS) und firmierte dort als „Gauleiter Rheinland“. Im Mai 2006 ist er nach zahlreichen vorherigen Verfahren wegen Volksverhetzung zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden.

Die Haftstrafe beruhte vor allem auf einer antisemitischen Hetzrede während einer Neonazi-Demonstration im Juni 2004 gegen den Bau einer Synagoge in Bochum. „Es ist uns nahezu unmöglich gemacht, etwas gegen das auserwählte Völkchen kundzutun. Und mit ihrer arroganten Art richten sie (die Juden) sich selbst zugrunde. Und ich könnte nicht sagen, dass mir das Leid tut“, hat er laut Gerichtsurteil unter anderem gesagt.

Reitz, der seinen politischen Gegnern in der Vergangenheit drohte, diese würden „eines Tages auf den Marktplatz gestellt und erschossen“, kandidiert momentan für die rechtsextremistische NPD bei der Kreistagswahl im Rhein-Erft-Kreis. Auf seiner Homepage zur Kommunalwahl haben einige der übelsten Neonazis glühende Grußworte hinterlassen. Es sei erfreulich, „einen jungen völkischen Nationalisten“ wie Reitz „in unseren Reihen zu sehen“, schreibt einer der Rassisten und verabschiedet sich „Mit kameradschaftlichen Grüßen und Heil Dir!“

"Bezirksjugendbeauftragter für das Rheinland"

Auch René Emmerich sei in die „revolutionäre Mission voll integriert“ und arbeite mit „am Aufbau der hiesigen Kameradschaft freier Nationalisten“, sagte Axel Reitz dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Pro-Köln-Kandidat selber erklärte auf Anfrage, er habe „überhaupt kein Problem damit, Neonazi genannt zu werden.“ Schließlich habe er seit Jahren, auch während seiner Zeit in der Pro-Bewegung, „kein Hehl“ aus seiner Gesinnung gemacht.

Noch im November 2008 wurde Emmerich auf der Pro-NRW-Homepage als „Bezirksjugendbeauftragter“ für das Rheinland gefeiert. In der Kölner Ratsfraktion habe er ein viermonatiges Praktikum absolviert und seit 2005 sei er dort zeitweise „täglich ein- und ausgegangen“, ergänzt der 26-Jährige. Trotzdem behauptete Parteichef und OB-Kandidat Beisicht im Juni 2009, er kenne Emmerich, der „weder bei Pro Köln noch bei Pro NRW irgendeine Rolle gespielt“ habe, nur „außerordentlich rudimentär“.

Kaum gekannt? Ein Vorsitzender, dem der eigene Kandidat fremd ist? Keine Rolle gespielt? Ein Parteifreund, nominiert als Kandidat, zudem Jugendbeauftragter, soll keine Rolle gespielt haben?

„Wenn Herr Beisicht sagt, er kenne mich kaum, dann lügt er“, sagt René Emmerich. Auf den Neonazi in der eigenen Kandidatenliste angesprochen, bemüht Beisicht jetzt eine krude Verschwörungstheorie. Man habe „offensichtlich“ versucht, einen „getarnten Agent Provokateur bei Pro Köln einzuschleusen, um ihn dann kurz vor den Kommunalwahlen zu enttarnen“, so der Pro-Funktionär. Dies alles sei geschehen, um seine Partei „maximal zu schädigen“.

Böse Mächte und finstere Verschwörungen?

Spätestens am 22. Juni 2009, nach einer Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger, müsste den Pro-Verantwortlichen bekannt gewesen sein, dass René Emmerich ein überzeugter Neonazi ist. Nach Auskunft von Ordnungsamtsleiter Robert Kilp wurde die Kandidatenliste erst am 13. Juli geschlossen. Drei Wochen Zeit für die Pro-Funktionäre, um zu reagieren. Zeit, um parteiintern einen neuen Kandidaten aufzustellen. Warum also wurde der Rechtsextremisten nicht wieder von der Liste gestrichen?

Die lapidare und fast schon irrwitzige Begründung des Parteivorsitzenden: Emmerichs Wahl im Herbst 2008 sei korrekt verlaufen, deshalb rechtlich nicht zu beanstanden und zudem sei der Kandidat „nicht bereit“ gewesen „zurückzutreten“. Nicht bereit gewesen? „Danach bin ich nie gefragt worden“, sagt Emmerich.

Geliebte rächt sich an Madoff

Der jahrzehntelange Finanzanlagebetrug war wohl nicht das einzige Geheimnis des Bernard Madoff. Eine am 25. August in den USA erscheinende Biografie enthüllt eine über zwei Jahrzehnte gehende Liebesaffäre mit einer seiner Anlegerinnen, verfasst aus deren eigener Perspektive.

«Madoff's Other Secret: Love, Money, Bernie, and Me» (Madoffs anderes Geheimnis: Liebe, Geld, Bernie und ich) lautet der Titel des Buchs von Sheryl Weinstein, das im Verlag St. Martin's Press erscheint.

Die Autorin berichtet darin, wie sie Madoff bei einem geschäftlichen Treffen kennengelernt habe. Weinstein war damals Finanzchefin einer Wohlfahrtsorganisation für Frauen und an deren Investitionsentscheidungen beteiligt.

«Der unglücklichste Tag meines Lebens»

Als Madoff im Juni zu 150 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, gehörte Weinstein zu den Investoren, die eine hohe Strafe für den Angeklagten forderten. Ihre Begegnung mit Madoff vor 21 Jahren sei «vielleicht der unglücklichste Tag meines Lebens» gewesen.

Ihre finanziellen Verluste hätten sie gezwungen, ihr Haus in Manhattan zu verkaufen. Dies habe ihr Leben ebenso zerstört wie das ihres Mannes, ihres Sohnes, ihrer Eltern und Schwiegereltern».

Madoffs Frau wusste nichts

Madoffs Anwalt Ira Sorkin sagte, er hoffe die Autorin sei «mit ihren Anlagen diskreter gewesen, als sie angeblich mit ihrem Sexleben war». Ein Anwalt von Madoffs Frau Ruth erklärte, seine Mandantin habe von der «angeblichen Affäre» nichts gewusst.

Weiter sagte Peter Chavkin, die Behauptungen seien möglicherweise aufschlussreich für diejenigen, die behaupteten, dass Ruth Madoff vom Betrugssystem ihres Mannes gewusst habe. Es gebe «Dinge, die einige Eheleute nicht miteinander teilen, so eng sie auch zueinander stehen».

Freitag, 14. August 2009

Verdeckte Nazi-Webseiten: Klamotten wie bei der Antifa

Webseiten der Neonazis sind oft nicht auf Anhieb als rechtsextrem erkennbar. Die Zahl der einschlägigen Videos und Profile im Netz hat sich mehr als verdoppelt. VON FELIX MÜLLER

Webseiten wie die der NPD werden immer beliebter.

Schwarze Kapuzenpullover, Buttons, Symbole, die denen der Antifa auf den ersten Blick verblüffend ähneln: Das Erscheinungsbild von Neonazis hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verändert - das gilt auch für ihre Aktivitäten im Netz.

"Im Jahr 2000 haben sich Neonazis noch als Neonazis präsentiert", sagt Stefan Glaser, der den Bereich Rechtsextremismus bei jugendschutz.net leitet, das im Auftrag der Länder neonazistische Umtriebe im Netz beobachtet. "Modern und hip" würden sich die Rechten heute präsentieren, sie hätten verstanden, dass sie "näher an die Lebenswelten der jungen Leute" heranmüssten.

So finden sich etwa Sprühvorlagen für Graffiti auf Webseiten Autonomer Nationalisten. Professioneller sind die Webseiten geworden, eigene "nationale" Agenturen schaffen Internetauftritte, die sich auf den ersten Blick nicht als rechtsextrem erkennen lassen.

In den sozialen Netzwerken und den Videoportalen verfolgen die Nazis eine Art Doppelstrategie: Einerseits sind Neonazis mit eindeutigen Profilen und Gruppen bei studivz, schülervz oder Facebook präsent und versuchen dort auch, Nachwuchs zu rekrutieren, andererseits haben sie sich inzwischen auch eigene Plattformen geschaffen.

Im Web 2.0 scheint die Szene mittlerweile also angekommen zu sein, und auch die NPD twittert. Für den kommenden Montag haben Nazis anlässlich des Hess-Geburtstags auch zu sogenannten Flashmobs an verschiedenen Orten mobilisiert, an denen sich blitzschnell Menschen zusammenfinden, gemeinsam Zitate von Hess verlesen und blitzschnell wieder auseinandergehen sollen.

Doch nicht nur die Qualität der rechten Netzangebote ist im Wandel begriffen, auch ihre Zahl nimmt ständig zu: Im Jahresbericht für 2008, der am Freitag in Berlin vorgestellt wurde, spricht jugendschutz.net von einer stetigen leichten Zunahme auf insgesamt 1.700 Webseiten mit rechtsextremem Inhalt (2007: 1635). "Für 2009 ist wieder ein Anstieg zu erwarten", sagt Glaser.

Zugenommen haben die Angebote von NPD oder Autonomen Nationalisten, vor allem aber lässt sich auch an den Zahlen ablesen, wohin sich die Aktivitäten der rechten Szene im Netz verlagern: Mit mehr als 1.500 rechtsextremen Filmen auf Videoplattformen und Profilen in sozialen Netzwerken hat sich die Zahl dieser Verstöße im Vergleich zu 2007 mehr als verdoppelt.

Jugendschutz.net geht in der Regel nicht den juristischen Weg, sondern versucht zunächst, die Provider dazu zu bewegen, die Seiten vom Netz zu nehmen. In Deutschland sind sie dazu verpflichtet, Glaser lobt aber auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Providern. In der Regel seien rassistische und neonazistische Inhalte dort durch die Geschäftsbedingungen des jeweiligen Dienstes verboten - auf Hinweise werde meist schnell reagiert.

Aber die Diskussion über Holocaustleugner bei Facebook zeigte, dass durchaus auch große Webseiten mit Verweis auf freie Meinungsäußerung das Auftauchen von volksverhetzenden Inhalten offensiv verteidigen.

Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) sieht die Betreiber der sozialen Netzwerke in der Verantwortung: "Sie müssen die präventive Arbeit verstärken und nicht nur reagieren, wenn Beschwerden kommen", sagt er.

Krüger sieht zuallererst nicht den Staat, sondern die Internetgemeinde in der Pflicht: "Wir dürfen nicht mit reinem Regulieren die Potenziale des Internets verdammen", sagt er und fordert, das Netz als demokratischen Raum zu verteidigen: "Die lebendige Internet-Community, die sich täglich für Freiheit im Internet einsetzt, sollte sich auch offensiv mit Rechtsextremismus auseinandersetzen."

Donnerstag, 13. August 2009

Nazi-Parolen nur in deutscher Sprache strafbar

Der Bundesgerichtshof hat ein Grundsatzurteil zur Verwendung von Nazi-Parolen gefällt: Deutsche Begriffe wie "Blut und Ehre" bleiben strafbar, ihre englische Übersetzung jedoch nicht. Die Richter sind sich der Problematik bewusst - Rechtsextreme könnten dies als "Spielwiese" nutzen.

Karlsruhe - Ist ein Nazi-Slogan noch ein Nazi-Slogan, wenn er statt auf Deutsch auf Englisch geäußert wird? Nicht zwingend, befand am Donnerstag der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlruhe.

In einem Grundsatzurteil zum Namen der in Deutschland verbotenen rechtsextremistischen Organisation "Blood & Honour" entschieden die Richter, dass Nazi-Parolen in der Regel nicht mehr strafbar sind, wenn sie in eine andere Sprache übersetzt werden.

Mit seinem Urteil hob der Dritte Strafsenat die Verurteilung eines Neonazis auf und verwies den Fall an das Landgericht Gera zurück.

Der Angeklagte war im September 2005 mit hundert T-Shirts mit der Aufschrift "Blood & Honour" sowie weiteren rechtsextremen Aufdrucken erwischt worden und deshalb zu einer Geldstrafe von 4200 Euro wegen Verwendens von Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation verurteilt worden.

Weiter zeigten die T-Shirts eine Unterzeile mit dem Schriftzug "Combat 18", der auf die Buchstaben A und H verweist, damit seien die Initialen Adolf Hitlers gemeint.

Zwar handelt es sich bei dem Namen der Organisation um die deutsche Übersetzung der Hitlerjugendparole "Blut und Ehre" - ein Kennzeichen einer verfassungswidrigen Organisation, dessen Verwendung strafbar ist.

Allerdings, so die Karlsruher Richter, haben Nazi-Parolen nicht nur durch ihren Sinngehalt, sondern auch durch die deutsche Sprache ihre charakteristische Prägung erfahren. Deshalb stelle eine Übersetzung in eine andere Sprache eine "grundlegende Verfremdung" dar, die nicht von der Strafvorschrift erfasst werde.

"Der Senat ist sich bewusst, dass mit dieser Entscheidung eine Spielwiese für rechtsextremistische Organisationen verbunden ist, NS-Parolen in andere Sprachen zu übersetzen", sagte der Strafsenatsvorsitzende Jörg-Peter Becker bei der Urteilsverkündung. Allerdings könne es das Strafrecht allein nicht schaffen, NS-Gedankengut aus dem öffentlichen Raum zu verbannen.

In der Neuauflage des Prozesses ist laut BGH aber dennoch eine Verurteilung möglich, weil der Angeklagte mit den T-Shirts möglicherweise die verbotene Organisation "Blood & Honour" unterstützt hat. Zudem könnte der Schriftzug als verbotenes Symbol eingestuft werden, falls er ähnlich dem aus Runen zusammengesetzten Kürzel "SS" grafisch gestaltet ist.

Grundsätzlich aber folgt aus dem Urteil, dass übersetzte Nazi-Parolen künftig nur noch sehr eingeschränkt mit Strafe bedroht sind. Daran ändern nach den Worten von Becker auch die in Deutschland weit verbreiteten Englischkenntnisse nichts.

Wollte man Übersetzungen in geläufige Sprachen als strafwürdig einstufen, weil der Inhalt der Parolen weithin verstanden werde, "dann würden wir uns auf ein Hase-und-Igel-Spiel einlassen" - weil die entsprechenden Gruppen dann auf weniger verbreitete Sprachen ausweichen würden. "Rechtsklarheit hätte man so nicht", sagte der Richter.

(Aktenzeichen: Bundesgerichtshof 3 StR 228/09)

Zypries gegen schärfere Kontrollen im Internet

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) lehnt es ab, mit schärferen Kontrollen gegen illegale Inhalte im Internet vorzugehen. "Wir wollen keine Zensurbehörde", sagte die Ministerin. Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) beteuerte abermals, das Sperren von Webseiten auf Kinderpornos zu beschränken.

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries fordert Freiheit im Internet

Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) hat sich gegen Forderungen der Union gewandt, im Kampf gegen illegale Inhalte die Kontrollen im Internet zu verschärfen. „Wir wollen keine Zensurbehörde für das Netz etablieren“, sagte die SPD-Politikerin der „Berliner Zeitung“. Den Zugang zu sperren, dürfe bei Kinderpornografie nur ein Hilfsmittel sein, wenn das Löschen nicht gelinge. „Wir müssen eine grundsätzliche Debatte führen, wie wir den Strafanspruch des Staates im Netz effektiv durchsetzen können, aber genauso sicherstellen, dass die Privatsphäre und das Recht auf freie Meinungsäußerung gesichert sind“, erklärte Zypries. Es gelte schon jetzt: „Was offline verboten ist, ist auch online verboten.“

In der Praxis sei die Strafverfolgung etwa dann schwierig, wenn strafbare Inhalte auf ausländischen Servern liegen. „Dafür brauchen wir bessere internationale Regeln und eine verbesserte Zusammenarbeit“, sagte die Ministerin.

Die Forderung des Unions-Fraktionsvizes Wolfgang Bosbach (CDU) nach einer Internet-Polizei wies sie zurück. Dies sei "Wahlkampfgetöse". Auch bei anderen Parteien stießen die Forderungen aus der Union auf Ablehnung. „Der Ruf nach staatlicher Kontrolle über das weltweite Informationsnetz ist ein weiterer Schritt hin zu einer Inhaltszensur“, sagte die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz der "Berliner Zeitung". Überregulierung sei „der Weg in den Überwachungsstaat“. Ähnlich sieht das die Piratenpartei. „Natürlich ist das Internet kein rechtsfreier Raum“, sagte Aaron Koenig, Mitglied im Bundesvorstand der Piraten, dem Blatt. „Wenn aber unter dem Vorwand Kinderpornografie das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ausgehöhlt wird, spielt Deutschland in einer Liga mit dem Iran und China“. Die Einführung einer Internetzensur sei verfassungswidrig, fügte Koenig hinzu.

Ähnlich wie Zypries will auch Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) das Sperren von Internet-Seiten allein auf Kinderpornografie beschränken. Bei den angestrebten Regeln für soziale Netzwerke im Internet könne es nur um freiwillige Maßnahmen der Betreiber gehen, sagte von der Leyen in einem Interview. „Die Achtung voreinander zu verankern ist ein Prozess und nichts, was Sie staatlich verordnen können“, sagte die CDU-Politikerin. Gerade bei Betreibern von Internetforen wie SchülerVZ, StudiVZ, Facebook und anderen sei „das absolut oberste Gebot Freiwilligkeit und Gemeinsamkeit“. Die Ministerin nannte als Beispiel den ebenfalls freiwilligen Ansatz der bereits bestehenden sogenannten „Nettiquette“-Verhaltensregeln für Internetforen.

Leben und Karriere der Ministerin

Das Ministerium sei seit längerem in Gesprächen mit diesen Netzwerken, wie Regeln des respektvollen Umgangs miteinander besser eingehalten und ausufernde Phänomene wie Beleidigungen unterbunden werden könnten. „Die Netzwerke haben das längst erkannt, dass zur faszinierenden freien Kommunikation des Internets auch der Respekt vor dem Nächsten gehört, der im Alltag sonst ganz selbstverständlich ist“.

Auf Initiative von der Leyens hat die große Koalition ein Gesetz gegen Kinderpornografie im Internet beschlossen, das von Internetnutzern und der Opposition kritisiert wird. Hier sei eine klare Haltung der Gesellschaft gefordert, sagte die CDU-Politikerin. Auch wenn die Sperren zu umgehen seien, würden die Hemmschwellen für Nutzer heraufgesetzt.

Die Bekämpfung der Kinderpornografie bleibe weiterhin Aufgabe der Polizei. Künftig seien aber solche Seiten nicht mehr „zufällig“ oder so einfach anzuklicken wie Kochrezepte. „Wer dann das Stoppschild umgehen will, macht deutlich, dass er aktiv nach Kinderpornografie sucht.“ Das Argument, er habe sich versehentlich auf diesen Seiten bewegt, gelte dann nicht mehr.

Dokumente einer Revolution

Unter dem Titel „Mauersplitter – Dokumente einer Revolution“ sendet der Deutschlandfunk in den nächsten Monaten jeden Tag kurze O-Töne aus der Wendezeit.

Mauersplitter: Deutschlandfunk, 7 Uhr 28, 14 Uhr 28, 23 Uhr 55

Die 200-teilige Sendereihe zum 20. Jahrestag des Mauerfalls startet am heutigen Donnerstag und endet am 18. März 2010 mit dem Tag der ersten freien Wahlen in der DDR, wie der Sender in Berlin mitteilte. Die Originaltöne sind höchstens eine Minute lang und stammen nicht nur aus Radioarchiven, sondern auch von der Birthler-Behörde, der Robert-Havemann-Stiftung und vom Deutschen Rundfunkarchiv, das die Bestände des DDR-Rundfunks und -Fernsehens pflegt. Gesendet wird ausschließlich unkommentiertes Originalmaterial. An herausragenden Stichtagen werden die O-Töne durch vertiefende Reportagen und Gespräche mit Zeitzeugen ergänzt